Sonntag, 27. Juli 2014

Gratis 3. Kapitel: Der Pakt (es geht weiter)

Hallo Freunde der Nacht!

Es ist wieder Sonntag und somit geht es weiter in unserer Welt `Zwischen Göttern und Teufeln`.

Wir sind jetzt bei Kapitel drei.
Im zweiten Kapitel habt ihr schon die Wächterin Jessica Sommers und ihre Kampfkünste kennen gelernt.
Auch im dritten geht es weiter mit ihr und ihr lernt nun mehr über Die Organisation und ich stelle euch Jessicas Boss, den Vermittler Frank Mcbright vor. Frank Mcbright. Was ist denn das für ein Typ? Auch wenn er im Laufe der Bände keine Hauptrolle spielt, solltet ihr ihn in eurem Hinterkopf behalten. Unwichtig ist er nämlich ganz sicher nicht! 

Meine Sonntagsfrage:  Ihr seid in einer festen Beziehung. Ihr seid abhängig von eurem Partner. Man könnte sogar sagen, ihm/ihr ausgeliefert. Aber ihr wisst nicht, ob ihr ihn wirklich noch liebt. Was tun?

 Ich freue mich auf eure Kommentare!

Viel Spaß mit dem dritten Kapitel wünscht euch,

eure Laya Talis und ich sende euch wie immer, meine dunklen Grüße!

zu allen bisher hier veröffentlichen Kapiteln: Der Pakt gratis


Kopieren und weiterverbreiten des Textes ist nicht gestattet! Danke für euer Verständnis.
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Frank Mcbright



Der Pakt – Zwischen Göttern und Teufeln, Band eins
Copyright: © 2013 Laya Talis

Kapitel drei
Jessica
Vier Stunden später

Nachdem Jessica geduscht und einen festen Verband um ihre Bisswunde gebunden hatte, holte sie sich eine frische Uniform aus ihrem  Holzkleiderschrank. Das Scharnier knarrte laut, als sie die Tür mit einem lässigen Schubs ihrer Hüfte wieder zuschlug. Die olivgrüne Bluse, mit den goldenen Druckknöpfen, spannte sich eng um ihre schmale Taille und ihren großen Brüsten. Ihre Hose war aus dem gleichen, festen Stoff und in derselben Farbe. Wie auch ihre Jacken; so wie alle Wächter sie trugen. An den Säumen der Ärmel ihrer Blusen und ihrer Jacken, war jedoch noch zusätzlich ein breiter, goldener Streifen aufgenäht, der sie als eine erste Wächterin auswies. Sie war stolz auf dieses Abzeichen.

Grundsätzlich waren immer vierundzwanzig Wächter einem Vermittler unterstellt. Einer dieser Wächter nahm eine besondere Position ein. Er war der ranghöchste unter ihnen, die anderen waren alle auf einer Befehlsstufe. Sie war dieser Wächter und somit der erste unter den vierundzwanzig.
Jeder Vermittler war auf einer höheren Hierarchiestufe, als ein Wächter. Sie waren es, die mit den Vampiren kommunizierten. Die Wächter sollten die Vermittler  schützen und die abtrünnigen Vampire aufspüren und ausschalten. Zumindest war dies die Aufgabe der Soldaten Gottes, die eine besondere Kaste innerhalb der Reihen der Wächter bildeten. Sie waren die Krieger der Organisation, gedrillt auf Gehorsam und ausgebildet für den Kampf. Andere Wächtergruppen übten innerhalb der Organisation Berufe aus, wie es sie überall gab, denn die Organisation unterhielt eigene Fabriken, Schulen und Krankenhäuser in fast allen Teilen der Welt. Und sie bekleideten in den wichtigsten Ländern der Erde die höchsten und einflussreichsten Positionen in Politik, Wirtschaft und Militär. Wie weitreichend dieses Netzwerk jedoch wirklich war, wusste eine Wächterin wie Jessica nicht.
Die Menschen, die nicht Mitglied dieser Vereinigung waren, ahnten nicht einmal, dass es die Organisation überhaupt gab. Sie wussten nicht, dass seit zweitausend Jahren ein mächtiger Geheimbund großen Einfluss auf die Geschicke der Welt hatte. Ein Geheimbund, der sich einst den Vampiren unterworfen und nur auf deren Befehl hin agierte hatte. Treue, unfreie, menschliche Lakaien waren sie gewesen.

Doch diese Zeit war vorbei! Die Organisation hatte vor Jahrzehnten endlich erkannt, dass die Blutsauger nichts anderes waren als seelenlose Diener des Satans, die ausgerottet werden mussten und vor zehn Jahren war es schließlich zu einem offenen Kampf gekommen. Doch die Vampire waren stark und die Menschen verloren den Krieg. Auch wenn sich die Organisation trotz der Niederlage weitestgehend von dem Diktat der Vampire emanzipieren konnte, band ein neuer Pakt sie mit den Verdammten.

Der Rat, die zwölf obersten Führer der Organisation, von Gott selbst erwählt, durch Gottes Gnaden eingesetzt, hatten vor acht Jahren einem neuen Abkommen zugestimmt, was schließlich den Frieden besiegelte. Das, was der Rat beschloss, was er tat und sagte, wurde ihm direkt von Gott eingegeben. Die Meinung des Rates war daher unfehlbar, denn sein Wille, war der Wille Gottes. Letztlich würde die Organisation diese Ausgeburten der Hölle irgendwann  vernichten, doch wie und wann dieses hehre Ziel erreicht würde, bestimmte der Rat, denn nur er kannte Gottes Plan.
Jessica glaubte fest daran. Die Menschen waren die Geschöpfe Gottes, die Vampire die Kreaturen des Teufels. Vampire, Monster, die nicht fähig waren Mitleid, Schuld und Liebe zu fühlen.
Jessica küsste ihr silbernes Kreuz, das an ihrer Halskette baumelte und betete um die Seelen der beiden Menschen, die sie nicht hatte schützen können. Dann ging sie zurück in ihr kleines Badezimmer, schaute in den runden Spiegel über dem verschmutzten Waschbecken und zupfte ihre kurzen, blonden Strähnen zu recht. Sie trug seit Jahren eine klassische Kurzhaarfrisur mit stets akkurat gerade über den Augenbrauen abschließendem Pony. Sie hasste es, wenn ihr auch nur eine Strähne in die Augen fiel, denn das würde sie beim Zielen und Schießen behindern. Die anderen Haare endeten knapp unterhalb ihres Ohres, wurden zum Nacken hin aber etwas kürzer.
Ein Schlüssel wurde in ihre Wohnungstür gesteckt und mehr aus Gewohnheit als aus der Befürchtung heraus, dass ein Vampir sich die Mühe gemacht hätte, erst ihren Wohnungsschlüssel zu stehlen, um dann bei ihr einzubrechen, hatte sie sofort ihre SIG vom Klodeckel aufgehoben. Auch während sie sich wusch, war  ihre Pistole immer in Griffweite. Lieber neurotisch als tot. War doch ein schönes Motto. Könnte sie sticken, würde sie diesen Schriftzug auf einem Sofakissen verewigen. So anstelle von home sweet home.

„Jessie?“, hörte sie eine männliche Stimme rufen.
Sie steckte beruhigt ihre SIG in das Holster an ihrem Gürtel und ging in ihr kleines Wohnzimmer.
Frank stand mitten in ihrem Chaos von Klamotten, Schuhen und leeren Pizzaschachteln, und sah sie mit einer Mischung von Besorgnis und Ungeduld an. Wie gewöhnlich trug er eine schwarze Stoffhose und ein schwarzes Hemd. Wächter durften kein schwarz tragen, denn schwarz war die Farbe der Vermittler.
„Hi … Ich wollte gerade zu dir. Ich war sozusagen schon auf dem Weg“, sagte sie und biss sich nervös auf ihre Unterlippe. Eigentlich hätte sie ihm gleich Bericht erstatten müssen, anstatt sich erst etwas auszuruhen und zu duschen. Doch sie hatte sich nicht überwinden können, ihm sofort unter die Augen zu treten. Ihr schlechtes Gewissen veranlasste sie auch jetzt dazu, den Blick auf den Boden gerichtet zu lassen.
„Michael hat mir erzählt, was passiert ist. Ich hatte erwartet, dass meine erste Wächterin mich informiert und nicht ihr Stellvertreter“, sagte Frank. Seine Stimme war ruhig und Jessica wagte es kurz aufzusehen. Mit Michael meinte er Mike. Frank war vermutlich der einzige, der seinen vollen Vornamen benutzte.

War Frank wütend? Möglich, er zeigte nicht, was in ihm vorging. Er war, wie jeder andere Vermittler auch, ausgebildet worden, seine Gefühle zu verbergen. Wenn er es wollte! Die perfekten Lügner. Ideal, um mit Wesen zu kommunizieren, die wie die Vampire, Kreaturen des Teufels, des Meisters der Lüge und der Hinterlist, waren. Feuer bekämpfte man am besten mit Feuer.
„Äh, ja … Ich ... ich, äh … Klar. Tut mir leid.“ Sie schluckte und straffte ihre Schultern. „Ich bitte um Vergebung und ich erwarte deine Strafe für mein Versagen. Es war meine Schuld.“
Frank ging zu ihrem braunen Sofa, hob eine Hose und einen Teller auf, um sich Platz zu verschaffen und legte beides auf den flachen, zugemüllten Glastisch, der vor ihm stand. Dann setzte er sich seufzend auf die Couch. „Ich würde nicht von Schuld sprechen, Jessie.“
Sie schnaufte und folgte ihm, bis sie direkt vor ihm stand. „Die Menschen sind tot, Frank. Ich habe sie nicht gerettet.“

„Ich mache mir mehr Sorgen darum, dass du einen Vampir getötet hast.“
„Nur ein toter Vampir ist ein guter Vampir“, sagte sie und wagte ein Lächeln.
Frank runzelte seine Stirn und zeigte jetzt seinen Ärger. Um seinen schmalen Mund zuckte es verräterisch. Er war nicht jähzornig, aber dennoch neigte er dazu  laut zu werden, wenn er einen seiner Wächter maßregelte. Doch seine Stimme blieb weiterhin verhalten. „Deine Witze sind unangemessen.“ Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und seufzte wieder laut. „Jonathan hat mich vor einer halben Stunde angerufen.“
Jessica spürte, wie sich ihre Muskeln versteiften. Der Blutsauger hatte nicht lange gewartet, um sich über sie zu beschweren. Sie wartete regungslos darauf, dass Frank weitersprechen würde.
Als er jedoch nach ein paar Minuten immer noch schwieg, begann Jessica nervös von einem Bein auf das andere zu wippen. „Und? Was hat Jonathan gesagt?“
„Er fordert einen Ausgleich für den Verlust des Vampirs, den du getötet hast.“
„Einen Ausgleich? Was soll das heißen, verdammt?“, fragte Jessica und biss wieder auf ihre Unterlippe.
Frank faltete seine Hände in seinen Schoß und sah sie jetzt direkt an, dennoch wirkte sein Blick verschlossen. „Du tötetest einen seiner Vampire. Dafür verlangt er den Tod von einem meiner Wächter.“

„Was?“, schrie Jessica und stürzte auf Frank zu. Sie kniete vor ihm nieder und ergriff seine Hände. „Frank. Das kannst du nicht tun. Du kannst doch keinen-“, sie stoppte und schluckte schwer. „Er fordert mich?“, brach es dann heiser aus ihr heraus. Sie musste daran denken, wie Jonathan sie angesehen hatte, als er ihr seine Visitenkarte angeboten hatte. Wenn dieser Parasit sie in die Fänge bekäme, würde er sie nicht einfach nur töten. Zuerst würde er sie vergewaltigen. Vermutlich mehr als einmal. Jessica kämpfe darum nicht zu würgen. Eher würde sie sich selbst ein Messer ins Herz rammen, als zuzulassen, dass ein Vampir seine dreckigen, kalten Finger auf sie legte.
„Nein. Er nannte keine Namen.“

Jessica ließ sich auf ihren Hintern gleiten und starrte auf die grinsende Comicfigur, die auf der Pizzaschachtel neben ihr abgebildet war. „Nicht meinen?“, wisperte sie. Sie hätte erwartet, dass der Parasit gerade ihr Leben verlangen würde. „Es ist aber meine Schuld.“ Bei dem Gedanken daran, wie einer ihrer Wächter von ihm angefasst und ausgesaugt wurde, krümmte sie sich nach vorn. Sie hatte Magenschmerzen und ihr wurde schlecht. Wenn Frank jetzt einen Namen nannte,  einen ihrer Kameraden, um ihn  auszuliefern, würde sie ihm auf die Füße kotzen. Jessica schloss ihre Augen und spürte, wie ihre Tränen durch ihre geschlossenen Lider flossen. Es durfte kein anderer sterben, da sie versagt hatte. Nein, sie würde sich nicht in den Freitod flüchten und jemand anderen ihre Schuld begleichen lassen.

„Was wirst du tun?“, fragte sie flüsternd.
„Er verlangt eine Wächterin. Er will eine Frau, aber auf keinen Fall dich. Ich habe das Gefühl, er hat Angst vor dir.“ Frank umfasste sanft ihre Oberarme und zog sie hoch, bis sie zwischen seinen Beinen kniete. Jessica weinte leise, lehnte ihre Stirn an seine Schulter und versuchte zu begreifen, was sie angerichtet hatte. Sie war eine erste Wächterin. Ihre Aufgabe war es auch, ihre Wächter mit ihrem Leben zu schützen und jetzt war es ihre Schuld, wenn sie einen von ihnen an die verdammten Parasiten ausliefern mussten? Nein, nein. Dem durfte Frank einfach nicht zustimmen. Wenn, würde sie sich anbieten. Entweder begnügte sich der Parasit mit ihr oder er sollte verrecken! Er sollte so oder so verrecken!!!
„Ich habe abgelehnt“, sagte Frank.

Jessicas Kopf ruckte hoch und sie schaute erleichtert in sein Gesicht. Frank war dieses Jahr fünfzig geworden. Er hatte grüne Augen und sein Haar war schon grau, was seine Attraktivität nicht milderte. Er war etwas größer als sie und anders als viele andere Vermittler war er durchtrainiert, wenn auch nicht sonderlich muskulös. Sie war jetzt beinahe fünf Jahre mit ihm liiert. Eine Verbindung, die in der Organisation nicht gestattet war. Er war ihr Vermittler, das bedeutete, sie hatte jedem seiner Befehle zu gehorchen, wie es jeder seiner Wächter musste. Befehle, die nicht selten darauf hinausliefen, dass der Wächter bei deren Befolgung starb. Ein guter Grund, warum es der Rat nicht billigte, wenn es zu intimen Beziehungen zwischen Vorgesetzten und ihren Untergebenen kam. Frank hatte bislang jedoch nicht gezeigt, dass es ihn in einen Gewissenskonflikt brachte, sie auf Missionen zu schicken, die ihren Tod bedeuten konnten. Er behandelte sie nicht anders, als die übrigen seiner Wächter, abgesehen davon, dass sie als erste Wächterin über den anderen stand. Diese Position beinhaltete sogar, dass sie sich nicht selten den größten Gefahren aussetzte. Sie trug die Verantwortung für ihr Team, sie musste sie schützen, stand immer in vorderster Front.
„Wie hat Jonathan darauf reagiert?“, fragte sie neugierig.
„Er droht mir damit, dass er den Mord an Marcus melden und er ihm mitteilen würde, dass du das Abkommen mit Wissen und Wollen gebrochen hast“, sagte er.

„Marcus?“, fragte sie erschrocken und unbewusst legte sie ihre Hand an ihre Kehle. Jeder Wächter wusste, wer das war. Marcus war der erste Vampir, des Vampirkönigs rechte Hand. Er war beinahe so gefürchtet wie Antonius. Antonius. Die Bestie! „Scheiße … Frank, ich wollte das nicht. Ich habe nicht erkannt, dass sie nicht die Vampire waren, auf dessen Jagd du mich geschickt hast.“
„Ich weiß … Ich glaube, er blufft. Jonathan ist in der Hierarchie der Vampire nur ein kleines Licht, auch wenn er sich gern aufspielt und über einen kleinen Teil von New York für Niklas regiert. Eigentlich ist er nicht mehr als ein Beamter des Fürsten. Ich bezweifle, dass er sich trauen wird, sich an Marcus zu wenden. Vermutlich kann er ihn nicht einmal selbst erreichen, genauso wenig wie ich ein Mitglied des Rates oder du einen Master. Er muss sich zunächst an seinen Fürsten wenden und der ist hier nun einmal Niklas und nicht Marcus. Dass er behauptet, gleich mit Marcus Kontakt aufzunehmen, ist mir Beweis genug, dass er rein gar nichts unternehmen wird.“
„Das weißt du aber nicht.“
Frank streichelte beruhigend ihre Wangen und küsste sie einige Male zärtlich auf den Mund. „Ich bin lange genug ein Vermittler, um  Vampire einschätzen zu können. Ich lasse mich von keinem so niederrangigen Vampir herumkommandieren. Master Friedrich werde ich aber  unterrichten müssen, Jessie.“

Jessica legte ihre Hände auf seine, die noch immer tröstlich ihren Kopf festhielten. Frank klang mehr besorgt darum, seinen Stolz nicht zu verlieren, als um die Sicherheit seiner Wächter. Aber nein. Jessica tat ihm Unrecht. Natürlich ging es ihm hauptsächlich um seine Wächter. Schließlich trug er die Verantwortung für sie, genau wie Jessica und auch er war wütend.
„Master Friedrich? Was, wenn er will, dass du doch einen von uns Jonathan überlässt?“
„Ich kenne den Master gut. Er wird keinen seiner Wächter grundlos ans Messer liefern“, sagte Frank fest, beugte sich wieder zu ihrem Mund und küsste sie sanft. „Jonathan hat es herausgefordert, dass du den anderen Vampir tötest. Die verfluchten Vampire suchen immer nach neuen Wegen, sich an uns zu rächen. Da Van Soehlen ihnen verbot uns anzugreifen, versuchen solche Blutsauger wie Jonathan es eben so. Marcus ist bekannt für seinen Scharfsinn und würde Jonathans Spiel sofort durchschauen. Davon dürfte Jonathan auch selbst ausgehen. Marcus wird es nicht billigen, wenn ein Vampir versucht, Van Soehlens Wünsche zu umgehen. Jonathan kann nichts unternehmen, wenn ich seiner Forderung nicht nachgebe, ohne sich selbst an seinen ersten Vampir zu verraten, und so dumm ist er nicht. Vertrau meinem Urteil.“

Ephraim Van Soehlen. Der Meister der Vampire. Jessica spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, wenn sie nur an ihn dachte, obwohl sie ihm nie begegnet war. Genauso wenig wie einem anderen der wirklich hochrangigen Vampire. Wächter bekamen es im Normalfall nur mit dem niederrangigen Abschaum von Blutsaugern zu tun und mit den Blutgeiern.
„Natürlich vertraue ich dir. Es ist nur … Ach, verdammt! Soviel Ärger.“ Sie schlug sich mit ihrer Hand vor die Stirn. „Ich bin ein solcher Idiot. Es tut mir leid. Ich werde nächstes Mal nachdenken, bevor ich losballere.“
„Dein Hass und deine Wut verleiten dich nicht zum ersten Mal dazu unüberlegt zu handeln“, sagte Frank.
Der Vorwurf in seinen Worten war berechtigt, dennoch verletzte es Jessica, dass er so über sie dachte. Auch wenn er vorhin etwas anderes gesagt hatte, gab er ihr offenbar doch die Schuld an ihrer Fehleinschätzung.

„Ich werde dich ein paar Wochen nicht losschicken. Ich denke, du brauchst eine Pause.“
„Was?“, brauste Jessica auf und zerrte seine Hände von ihrem Gesicht. „Das ist nicht dein Ernst.“
Franks Gesichtsausdruck wurde hart. „Ich werde das nicht mit dir diskutieren.“
Sie schnaufte wütend und stand abrupt auf. „Ja, Sir. Wenn du erlaubst, wäre ich gern allein.“
„Du schmeißt mich aus deiner Wohnung?“
„Nein, das kann ich nicht und was ich will, ist sowieso egal. Du bist schließlich mein Boss. Ich kann dir gar nichts befehlen, sondern muss nur tun, was du sagst“, schnauzte sie und fluchte gleich darauf. Was tat sie hier bloß? So durfte sie nicht mit ihm sprechen. „Tut mir leid. Bitte, Frank. Lass mich allein.“
„Wie du willst!“ Frank erhob sich und stapfte  verärgert in Richtung Tür. Bevor er sie erreicht hatte, klopfte jemand an.
Jessica stellte sich sofort beschützend vor Frank und zog ihre SIG. Sie war sein Wächter und auch wenn sie sauer auf ihn war, würde sie jederzeit und bedingungslos ihr Leben geben, um das seine zu retten.

„Ich bin es. Mike!“, sagte der unerwartete Besucher hinter der Tür. Mike kannte sie gut genug um zu wissen, dass es besser war sich sofort als Freund erkennen zu geben, wenn er nicht mit einem dritten Nasenloch dekoriert werden wollte.
Frank schob sie einfach zur Seite und während Jessica ihre Waffe wieder wegsteckte, riss er mit Schwung die Tür auf.
Mike starrte ihn überrascht an, fing sich aber schnell und salutierte hastig. „Sir.“ Er nickte Frank zu. „Entschuldigen Sie. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.“
„Was wollen Sie, Michael?“, fragte Frank und hatte seinen typischen Vorgesetztenton angeschlagen. Dunkle Stimme, forsch gesprochene Silben und hart betonte Vokale. Sein schottischer Akzent trat in solchen Momenten immer deutlich hervor.

Jessica biss sich auf die Unterlippe und spielte nervös an ihrem Kettenanhänger. Sie wusste ebenso wie Frank, dass Mike in sie verliebt war. Doch Mike war kein Idiot und hielt gewöhnlich angemessenen Abstand zu ihr. Er unternahm keinen Versuch, sie für sich zu gewinnen. Es wäre nicht zu seinem Vorteil gewesen, seinem Vermittler die Freundin auszuspannen.
„Äh – Jessie wurde während des – äh – Einsatzes verletzt. Ich wollte nach ihr sehen, Mr Mcbright.“ Mike rieb sich seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger.
„Das ist nicht nötig. Sie können wieder gehen!“, entschied Frank und bemühte sich nicht im Geringsten zu verbergen, dass er gereizt war.
Jessica ärgerte sich darüber, dass er Mike wegschickte. Mike war ihretwegen hier, doch sie widersprach ihm nicht. Er war ihr Vermittler, sie waren seine Wächter. Er durfte sie hinschicken, wohin er wollte, ohne dafür eine Begründung geben zu müssen.

„Ja, Sir.“ Mike schaute zu Jessica und wischte sich seine breiten Hände an seiner olivgrünen Hose ab, als müsste er seine Handflächen säubern. Im Gegensatz zu Frank war sein Körperbau bullig. Er war ungefähr so groß wie Jessica, aber ein wahrer Muskelberg. Und er war sehr klug. Er war zwar ein Wächter und ein Krieger, aber er war auch Arzt und ein Wissenschaftler. Frank verlangte immer, dass Mike bei jedem Feindkontakt hinzugezogen wurde. „Wenn du noch Beschwerden bekommst, kannst du mich anrufen, Jessie“, bot er ihr an.
„Ich sagte, das ist nicht nötig“, wiederholte Frank eisig.
„Äh, ja Sir. Natürlich.“ Zwischen Mikes Augen erschien eine steile Falte, als er seine Augenbrauen zusammen zog, doch er salutierte und ging gehorsam.
Frank warf die Tür wieder zu und als sie knallend ins Schloss fiel, zuckte Jessica zusammen. „Kommt er öfter so spontan in deine Wohnung?“ Sein Blick war forschend auf ihr Gesicht gerichtet.
Eine Auseinandersetzung mit ihm war das letzte, worauf sie jetzt Lust hatte.
„Äh … nein. Nicht öfter als die anderen Wächter, denke ich.“ Jessica biss sich auf ihre Unterlippe und drehte ihm ihren Rücken zu. „Wolltest du nicht gehen?“

„Nein! Wie oft kommt Michael hier her? Unangemeldet und unnötig.“
Jessica fuhr wütend herum. „Was soll der Scheiß? Mike ist mein Partner und ich bin seine erste Wächterin, verdammt. Und er ist der Arzt unseres Teams. Willst du ihm verbieten, dass er sich um mich sorgt?“
Frank war mit einem langen Schritt bei ihr und hob seine Hand, die Handfläche ihr zugewandt, die Augen sprühten regelrecht vor Zorn.
Erschrocken starrte sie in an.
Wollte er sie – schlagen? Sie blieb steif stehen und unternahm nichts, um ihm auszuweichen oder sich zu verteidigen. Sie durfte es nicht. Er war ihr Vermittler, sie sein Wächter.
Frank verharrte mitten in der Bewegung und senkte seine Hand wieder. Statt zuzuschlagen, rieb er sich sein Gesicht auf eine Weise, die ihn müde und verzweifelt erschienen ließ. Er blies hörbar die Luft aus. „Ruh dich heute aus. Ich sehe morgen Nachmittag nach dir. Falls ich etwas von Master Friedrich höre, melde ich mich sofort bei dir.“

Sie nickte und schluckte schwer. Ihre Beziehung war ohnehin schon kompliziert genug, auch ohne, dass er einen eifersüchtigen Neandertaler mimte.
Frank ging wieder zur Tür und fasste nach der Klinke, zögerte aber die Tür zu öffnen. „Zwischen dir und Michael … War jemals etwas zwischen euch? Ich könnte es verstehen. Ich meine, wenn du dich in ihn ... Er ist jünger als ich“, sagte er leise.
Mike war vierzig. Sicher er war jünger und der Altersunterschied zwischen ihr und Frank war nicht unerheblich, doch hatte sie darin nie ein Problem gesehen. Jessica war mit zwei Schritten bei ihm und legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm. Sie wollte nicht, dass sie im Streit auseinander gingen und er seine Wut und Unsicherheit vielleicht  an Mike ausließ. „Nein, es war nie etwas zwischen mir und Mike … Ich liebe dich, okay? Nur dich!“

Er drehte sich zu ihr um und zog sie unvermittelt in eine feste Umarmung. Sein Mund legte sich beinahe schon schmerzhaft auf ihren. Von der Heftigkeit war sie etwas überrannt, dennoch öffnete Jessica ihre Lippen für seine Zunge, die er fordernd in ihren Mund stieß. Er küsste sie lange und seine Hände legten sich in einer besitzergreifenden Geste auf ihren Hintern und schoben sie noch enger an sich. Jessica erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuss und krallte sich in seine Schultern. Sie wollte ihm keinen Anlass bieten, an ihren Worten zu zweifeln.
Frank beendete den Kuss genauso plötzlich, wie er begonnen hatte. Sein Lächeln wirkte reuig und sie fühlte erleichtert, wie er sich entspannte.
„Tut mir leid, Jessie. Mein Ausbruch war nicht angemessen … Ich lasse dich jetzt allein“, murmelte er und ließ sie ohne ein weiteres Wort  in ihrer Wohnung zurück. 


Freitag, 25. Juli 2014

Das hat vor euch noch keiner gelesen ...

außer mir!

Hallo Freunde der Nacht.

Ich schreibe ja noch immer an Band vier und ich muss zugeben. Es zieht sich. Kein Band zuvor ist mir so schwer gefallen zu schreiben, wie dieser. Zum Teil liegt es an den Szenen, zum Teil daran, dass ich sehr konzentriert schreiben muss, da alle Handlungsstränge nun aufgedeckt und zusammengeführt werden müssen. Da darf ich nix vergessen. :-)
Zum Teil liegt es aber auch daran, dass ich Kapitel um Kapitel dem Ende näher rücke. Einem Ende, bei denen auf euch noch böse Überraschungen warten und die nicht alle meine Charaktere überstehen werden. 

Jetzt gerade bin ich mitten in der Schlacht. Schnuppert mal mit mir ins Geschehen.
Dies ist ein Auszug aus dem Skript, das bislang weder korrigiert, noch lektoriert wurde. Somit könnte sich noch einiges ändern bis ihr es als fertiges Buch lesen werdet können. Betrachtet es als rohen Teig aus dem der Kuchen (das Buch) erst noch gebacken werden muss.

Trotzdem viel Spaß!

Dunkle Grüße,
eure Laya Talis

kleiner Einblick:
...
Kapitel zweiundzwanzig
Und sie fielen vom Himmel
 
Sie überschritten die Barriere und ließen die Welt explodieren. Tief aus ihrem Inneren sammelten die Fürsten ihre Kraft, spürten sie wie eine heiße Flut in sich aufsteigen, ohne sie ausbrechen zu lassen. Bis zu dem Punkt, in dem sie glaubten von der Energie auseinandergerissen zu werden.
Und dann … entluden sie all ihre Macht und schickten sie ihren Feinden entgegen. Eine Macht, die die Luft zum Flimmern brachte, die sich mit einem ohrenbetäubenden Knall ausbreitete. Schneller als der Schall, mächtiger als die Detonation einer Atombombe … doch genauso … tödlich.

Es war reinste Energie, die die Vampire kilometerweit in einem gewaltigen Schub über die Erde jagten und hoch in den Himmel schickten. Mystische Kraft, die alles sterbliche, natürliche Leben in Sekunden auslöschte. Es zerfetzte. Körper zerplatzen wie eine Seifenblase auf der Hand. Blut spritze, wie Fett in einer heißen Pfanne und tränkte die Landschaft in einem schleimigen, dunklen Nass. Schwängerte die aufgeheizte Luft mit ihrem metallischen Geruch, die zudem erfüllt war von stummen Schreien der Verendeten und dem Gestank verbrannten Fleisches.

Die Minen der Menschen, die an der Barriere lagen, explodierten durch die ungeheure Elektrizität, die freigesetzt worden war, und wurden somit zu einer unbrauchbaren Waffe. Die Berge, der Wald, alles stand in Flammen und die Hubschrauber, die über dem Grenzgebiet patrouilliert hatten, fielen vom Himmel.

Sie fielen vom Himmel und zerschellten auf den rauen Berggipfel oder stürzten in die brennenden Bäume.
Marcus fing die Überreste eines toten Vogels auf, der vom Himmel fiel. Viele, viele Vögel waren durch die Schockwelle aus ihrem Flug geholt worden und stürzten, größtenteils nur noch als zerrissene, federbedeckte Fleischklumpen, vom Himmel.

Und sie fielen noch vom Himmel als die erste Phalanx der Vampire die Barriere überschritt und sie voller Entsetzen die Welt vor ihnen besah. Eine Welt, die nie mehr sein würde, wie sie einst war. Eine Welt zersprengt und zerrieben in einem Kampf, gleich dem in einer Schlacht zwischen Göttern und Teufeln.

Aber die Schlacht hatte erst begonnen. In der Ferne hörten die Vampire das Heulen der Wölfe. Formwandler. Sie waren keine natürlichen Wesen. Sie hatten die erste Angriffswelle überlebt und auch sie dürstete es nach Blut. Was die Vampire nicht wussten, die Wölfe waren nicht die einzigen Feinde, die überlebt hatten …

Sonntag, 20. Juli 2014

Gratis 2. Kapitel: Der Pakt (es geht weiter)

Hallo Freunde der Nacht!

Es ist wieder Sonntag und somit geht es weiter in unserer Welt `Zwischen Göttern und Teufeln`.

Wir sind jetzt bei Kapitel zwei. Ihr lernt nun die Wächterin Jessica Sommers kennen.
Im ersten Kapitel habe ich euch schon ein paar Vampire vorgestellt. Den kühlen, taktischen Marcus, den bösen, sadistischen Antonius, den mächtigen König Ephraim, die ängstliche Alessina und den fiesen Falk. 

Was ist Jessica für ein Charakter? 
Um ihr Wesen zu beschreiben, habe ich mir eine Kampfszene ausgewählt, denn kämpfen ist es, was ihr Leben bestimmt. Der Kampf ist es, worüber sie sich identifiziert. Aber ist sie glücklich dabei? Wärt ihr es an ihrer Stelle? Was haltet ihr von der Wächterin?
Hättet ihr Lust euch auch mal im Kampf gegen böse Vampire zu behaupten? Ich freue mich auf eure Kommentare!

Viel Spaß mit dem zweiten Kapitel wünscht euch,

eure Laya Talis

zum ersten Kapitel: Kapitel Eins auf dem Blog!

Jessica Sommers


Der Pakt – Zwischen Göttern und Teufeln, Band eins
Copyright: © 2013 Laya Talis

Kapitel zwei

Jessica
Fünf Jahre später
Zum Ende des Sommers, New York
Jessica Sommers war achtundzwanzig Jahre alt und lebte seit fast acht Jahren in New York. Sie mochte diese Stadt. Sie mochte die Menschenmassen, die Autoschlangen, den Gestank im Sommer, die Kälte im Winter, die Hektik während des Tages und das pulsierende Nachtleben. New York bei Nacht. Die Stadt, die niemals schlief.

Der Himmel war voller Wolken und auf den Straßen und Bürgersteige fand man teilweise riesige Pfützen. Es hatte aber zumindest endlich aufgehört zu regnen. Nach beinahe einer Woche Dauerregen wurde es auch Zeit! Schließlich sollte sich Jessicas Stadt in kein verfluchtes Venedig verwandeln.
Jessica zog den Reißverschluss ihrer olivgrünen Sommerjacke ein Stück nach unten, um leichter nach ihrer Pistole greifen zu können, und beobachtete ein Pärchen, das eng umschlungen vor ihr herlief. Die Frau trippelte auf hohen Riemchensandalen über den asphaltierten Bürgersteig und kuschelte sich an den Arm ihres Freundes. Beide waren elegant gekleidet, als kämen sie von einer schicken Party. Mit diesen zierlichen Schühchen angetan, lag der Schluss nahe, dass ihr Weg nach Hause nicht weit war, ansonsten wären sie sicher mit einem Taxi gefahren und nicht zu Fuß gegangen. Wie konnte man überhaupt mit solchen Tretern laufen? fragte sich Jessica. Gott hatte sich schon etwas dabei gedacht, den Fuß anatomisch so zu formen, dass die Sohle breiter war als ein Penny.

„Ich habe das Gebäude gleich erreicht. Weißt du, ob Mike schon dort ist? – Ist er nicht? Wo ist er?“ Jessica sprach in ihr Handy und ihre freie Hand umfasste bereits sicher den Griff ihrer SIG, die sie noch unter ihrer Jacke verborgen, in einem Holster über ihrer Hüfte trug. In ihrem Job ging man nicht unbewaffnet auf die Straße.
Scheiße! Jessica ging ohne Waffe nicht mal auf ihr eigenes Klo und ganz gewiss nicht nachts durch New York! Im Gegenteil. Zu der SIG gesellten sich dann mindestens zwei Wurfmesser. Erst recht, wenn sie auf der Jagd war und genau das war der Grund, warum sie sich nur eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang in dieser ruhigen Gegend aufhielt.

Jessica lauschte, was der Mann, mit dem sie telefonierte, ihr mitteilte, dann bellte sie ungehalten: „Er ist wo? Verdammt! Der kann vor ´ner halben Stunde nicht hier sein. Ich kann auch keinen anderen Wächter herrufen. Die bräuchten noch länger, um herzukommen. Ach, verdammt! Ich kann auch allein gehen.“ Wütend schnaufte sie, als der Mann am Telefon es ihr untersagte. „Frank! Ich kann auf mich aufpassen“, widersprach sie eilig. Frank McBright war nicht nur ihr Freund, sondern auch ihr Vermittler und somit ihr Vorgesetzter. Mike war wie sie ein Wächter, Mitglied ihres Teams und ihr Arzt, was es nur logisch machte, dass er nach Möglichkeit immer bei einer Jagd dabei war. Alle Wächter hatten zwar eine Ausbildung zum Sanitäter absolviert, aber Mikes Fachwissen hatte schon des Öfteren einem Wächter das Leben gerettet. Außerdem organisierte er den Abtransport der Leichen, die sie, wenn sie ihre Arbeit erledigt hatten, zwangsläufig zurückließen. Im besten Falle nur die ihrer Feinde.

„Verdammt … Ja, ich habe verstanden. Ich werde auf ihn warten … Ich liebe dich auch.“ Jessica fluchte erneut, nachdem sie aufgelegt hatte.
Das Pärchen, das eben noch in schöner Eintracht vor ihr hergedackelt war, fing plötzlich lautstark zu streiten an. Das hatte Jessica gerade noch gefehlt. Diese beiden Vollidioten hatten keinen Schimmer, wessen Aufmerksamkeit sie damit auf sich ziehen könnten. Wie sollten sie auch ahnen, welche Gefahr in ihrer unmittelbaren Nähe lauerte?
Jessica blieb stehen und verstaute ihr Handy in der Brusttasche ihrer Jacke. Hoffentlich beeilte sich Mike. Sie sah sich aufmerksam um. Außer dem Paar, das einige Meter vor ihr gestoppt hatte, war sie allein. In dieser Gegend, am Rande New Yorks, waren die Straßen zu dieser Zeit verwaist. Die Stadt, die niemals schlief, hatte einige Bezirke, die diese Regel konsequent missachteten.

Nur noch fünf Gehminuten von ihrer derzeitigen Position entfernt, sollte sich in einem Mietshaus ein abtrünniger Vampir einquartiert haben. Da die Sonne bald aufging, war der Blutsauger entweder schon in seine Wohnung zurückgekehrt oder würde es bald tun. Meistens suchten Vampire immer den gleichen Unterschlupf auf. Zumindest junge Vampire, die sich noch an das Leben als Unsterbliche gewöhnen mussten. Gerade in den ersten Jahren ihres neuen Daseins geschah es jedoch immer wieder, dass die Verwandelten die Kontrolle über sich verloren und Nacht für Nacht ihrer Blut- und Mordgier erlagen und ihr Unwesen trieben, ohne Rücksicht darauf entdeckt zu werden. Wenn sie sich auf alles stürzten, was menschlich war und einen Herzschlag hatte, waren es Wächter wie sie, die sie aufhalten mussten. Manchmal wurden die Wächter von anderen, „normalen“ Vampiren beauftragt, damit sie sich um die außer Kontrolle geratenen Blutsauger, die sie die Abtrünnigen nannten, kümmerten. Da es keine Heilung gab, hieß das, sie zu jagen und zu töten.

Nicht, dass Jessica die „normalen“ Vampire für weniger böse oder grausam hielt, doch der Unterschied lag darin, dass sie im Verborgenen Monster waren und ihre Begierden nicht öffentlich stillten. Die Monster wollten die abtrünnigen Monster vernichtet wissen, damit sie die Existenz ihrer Art nicht durch ihr unkontrolliertes, öffentliches Morden Preis gaben. Zu besseren Wesen machte es sie allerdings nicht. Ein Monster blieb ein Monster. Ob es sich nun versteckte und tötete, oder es gleich auf offener Straße tat.

Jessica zog sich in eine Hausnische zurück und hörte dem streitenden Paar zu. Bei ihrem Zwist ging es darum, dass er ein Jobangebot in einer Klinik in Boston angenommen hatte. Jessica grinste, als sie mitanhörte, dass der junge Assistenzarzt offenbar mit seiner Mutter alles beraten, aber seine Verlobte lediglich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte.
Als die junge Frau begann mit ihrer Handtasche auf ihn einzuschlagen und ihn einen Schlappschwanz und ein Muttersöhnchen nannte, tat er Jessica fast leid. Es war zu offensichtlich, dass der hübsche Blondschopf, der die kleine Frau um gute eineinhalb Köpfe überragte, tatsächlich alles tat, um seiner Mami alles recht zu machen und auch dem Jähzorn seiner kleinen, zukünftigen Ehefrau nichts entgegenzusetzen hatte.

Jessica stellte sich vor, wie er in fünfzehn Jahren mit dieser Frau eine pubertierende Tochter haben würde, die ihrem Daddy ebenso die Hölle heiß machte, wie die Ehefrau und die Mutter. Jessica biss sich auf die Lippe, um nicht aufzulachen. Sie sah es regelrecht vor sich, wie er in einer Nacht mehreren Menschen in seinem Beruf als Arzt das Leben gerettet hatte, um danach in sein Haus zurückzukehren, in dem die drei Frauen auf ihn warten und ihn gnadenlos mit ihren Handtaschen vermöbeln würden. Handtaschen, die er ihnen zu Weihnachten geschenkt hatte. Passend zu kleinen, süßen Sandälchen.
Mittlerweile war das dünne Riemchen des Trägers der Handtasche der Frau gerissen. Natürlich war das seine Schuld!
Armes Doktor Muttersöhnchen.

Eine unbekannte Stimme unterbrach die Beiden: „Hast du deine Süße nicht im Griff?“
Höhnisches Gelächter erklang.
Jessicas Körper spannte sich kampfbereit und wachsam an, doch vorerst zog sie sich noch weiter in die Hausnische zurück und spähte die düstere Straße herunter. Aus einer Seitengasse traten zwei Gestalten.
„Vielleicht sollten wir ihm zeigen, wie man eine Frau gefügig macht.“
„Ich kann ihm noch einiges beibringen.“
Wieder lachten die fremden Männer.
Dreckskerle!, dachte Jessica.
„Was soll das? Verpisst euch, ihr Arschlöcher!“, pöbelte der Arzt mutig zurück.
Oho. Muttersöhnchen kannte Schimpfwörter. Er wurde Jessica langsam sympathisch.

Die zwei Männer, die sich dem Pärchen in Kreisen näherten, hatten eine straff gespannte, auffällig glatte und faltenlose Haut, die fast so bleich war wie Papier. Das Weiße ihrer Augen war heller als bei Menschen, die Stimmen einlullend und düster, die Bewegungen schnell und fließend. Mehr katzengleich, denn menschlich, pirschten sie sich an ihre Opfer heran. Dies zusammen ließ nur eine Schlussfolgerung zu:
Vampire.

Dass sie auf offener Straße das Paar anzugreifen beabsichtigten, war Jessica Beweis genug. Es mussten die Blutsauger sein, wegen denen sie hier war. Sie hatte allerdings nur einen Abtrünnigen erwartet. Schnäppchen. Zwei für den Preis von einem. Aber sie war allein. Verdammt. Jessica zog ihre SIG und taxierte nochmals die Umgebung, ob sich noch mehr Feinde zeigten, aber zum Glück konnte sie niemanden ausmachen.
Auf Mike konnte sie nicht warten. Sie wollte die Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen und sie von den verfluchten Parasiten aussaugen lassen. Abgesehen davon, dass die beiden Vampire sie bereits bemerkt hatten und zu ihr herüber blickten. Da Jessica die typische olivgrüne Kleidung der Wächter trug, erkannten sie umgehend, was sie war.

„Sieh an, mein junger Freund. Eine Wächterin“, sagte einer von ihnen und schien sich zu freuen sie zu sehen. Das würde sich bald ändern. Noch wusste er nicht, welchem Wächter er gegenüberstand!
„Wächter, misch dich nicht ein. Das hier geht dich nichts an“, zischte der größere von ihnen und klang im Gegensatz zu seinem Kumpanen wütend. Er war untersetzt. Es war der erste dicke Vampir, dem Jessica jemals begegnet war. Der Körper von Verwandelten veränderte sich nicht mehr. Er konnte trainieren, so viel er wollte, er würde immer ein Pummelchen bleiben. Scheiße, und gegen sein Gesicht konnte er auch nichts machen. Seine Nase war so groß, dass es beinahe komisch aussah. Pech für ihn.
„Was soll das? Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei.“ Muttersöhnchen wurde richtig sauer und baute sich vor seiner kleinen Freundin auf, die hinter seinem Rücken Schutz suchte. Sein Handy lag schon einsatzbereit in seiner Hand.

Aha. Mit einer Handtasche verhauen konnte Muttersöhnchens Darling ihn, aber wenn wirkliche Gefahr drohte, sollte er sie trotzdem beschützen. Blöde Kuh!, dachte Jessica.
„Ich bin von der Polizei, Sir! Ich habe alles unter Kontrolle“, log Jessica, da sie die Cops genauso wenig hier haben wollte, wie die Blutsauger, an die sie sich jetzt wandte. „Ganz Recht, Parasit. Ich bin ein Wächter und ich knall dich ab!“, sagte sie völlig kalt und schoss. Das Liebchen von Muttersöhnchen schrie auf. Er hingegen reagierte erstaunlich besonnen, warf seine Freundin auf den Boden und sich selbst schützend auf sie.

„Sie können doch nicht einfach schießen“, rief der Arzt entsetzt. Wenn er wüsste wer, nein was, diese Männer in Wirklichkeit waren, würde er sich nicht daran stören, dass sie losgeballert hatte. Dennoch hoffte Jessica, dass er es nicht erfahren würde.
Jessica zog ihr langes Kampfmesser aus ihrem Stiefel. Ihre beiden Wurfmesser lagen noch verborgen in den an ihren Unterarmen umgeschnallten Scheiden und warteten geduldig auf ihren Auftritt. Die Jacke war weit genug geschnitten, dass sie problemlos die Griffe ergreifen und sie herausziehen  konnte.

„Miststück!“, brüllte der dicke Vampir, auf den sie geschossen hatte. Er war mit einer Geschwindigkeit ausgewichen, die kein Mensch erreichen konnte, dennoch hatte Jessica ihn zweimal am linken Oberschenkel treffen können. So lange die Blutsauger keine beträchtliche Menge Blut verloren, war dies bedauerlicherweise keine Verletzung, die einen von ihnen länger als einige Sekunden aufhielt, da ihre Wunden zu schnell heilten.
Beide Vampire näherten sich Jessica. Der eine von rechts, der andere von links.

„Ich rieche dein Blut, Wächterin. Mhm, welch ein ungewöhnlich anziehendes Aroma. So verlockend, wie ich es bisher bei keinem anderen Menschen gerochen habe“, sagte der kleinere, nicht dicke Vampir. Sein Haar war beinahe schwarz und hing ihm in klebrigen Strähnen ins Gesicht. Erst als er näher kam, erkannte Jessica, dass es frisches Blut war,  das sein Haar dunkler färbte und feucht glänzen ließ. Muttersöhnchen und seine Freundin wären heute Nacht nicht ihre ersten Opfer gewesen.
Jessica kämpfte gegen die Übelkeit an und stürmte auf den kleinen Vampir zu, der in die Luft sprang, um sich von oben auf sie zu stürzen.

Jessica machte einen Hechtsprung nach vorn, unter ihn hindurch, und drehte ihren Körper im Flug einmal um die eigene Achse, damit sie mit dem Gesicht nach oben durch die Luft glitt. Sie rammte ihr Messer geübt in den weichen Bauch über ihr und schlitzte den völlig überraschten Blutsauger bis zu seiner Brust auf. Das würde selbst einen Parasiten wie ihn etwas beschäftigen. Unsanft schlug sie mit dem Rücken auf den Asphalt. Durch den harten Aufprall wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst. Bei einem Kampf mit Vampiren konnte jede Rücksichtnahme auf Schmerzen ihren Tod bedeuten, deshalb schoss Jessica schon im Fall und auch nach ihrer Landung ununterbrochen auf den zweiten Blutsauger, der bereits auf sie zu gerannt kam. Sie verfehlte ihn jedoch und fluchte. Auch jeder noch so kleine Fehler konnte ihr Todesurteil sein, und sein Ziel zu verfehlen war weiß Gott kein kleiner Fehler. Ihre Hand war nass von dem kalten Blut des Vampirs und der Griff des Messers wurde dadurch glitschig. Jessica musste aufpassen, dass sie es nicht fallen ließ. Der magische, anziehende Duft von Vampirblut, nach Eisen und Minze, hüllte sie ein, doch eine erfahrene Wächterin wie sie, ließ sich davon nicht ablenken.

„Rennt! Los!“, rief sie dem Arzt und seiner Freundin zu. Letztere klammerte sich kreischend an Muttersöhnchen. Beide waren jetzt fast so bleich wie die Vampire, und lagen tatsächlich noch immer auf dem Bürgersteig und starrten Jessica und die Vampire schockiert an.
„Ahhh!“ Jessica schrie auf, als sich die spitzen Reißzähne des kleinen Vampirs – der mit der extra Belüftung in Bauch und Brust, sozusagen die Cabrio-Version eines Untoten – in ihren Oberschenkel bohrten. Er nahm Jessica das Messer ab, löste seinen Mund wieder von ihr und starrte sie mit aufleuchtenden Augen an. Während er versuchte ihre SIG zu erreichen, tropfte von seinen ausgefahrenen Fangzähnen Jessicas Blut.

Jessica ließ ihm keine Zeit erneut zuzubeißen oder sie ganz zu entwaffnen. Sie schoss wieder und wieder in sein Gesicht, bis davon nur noch eine undefinierbare, breiige Knochen-, Blut-, und Fleischmasse übrig war und er endlich bewusstlos auf ihr zusammenbrach. Bevor sie sich jedoch von dem Gewicht seines erschlafften Körpers befreien konnte, hatte der Dicke sie erreicht. Mit einem wütenden Kampfschrei ging er in die Hocke, stieß sich mit den Füßen vom Boden ab und sprang mit geöffnetem Mund direkt in Richtung ihrer Kehle.

Lernten es die Blutsauger nie? Mit ihren Sprüngen taten sie sich selbst selten einen Gefallen.
Jessica rührte sich nicht und erwartete den Vampir mit einem bösen Lächeln. Ihr Herz raste vor Zorn, jeder Schlag war angefüllt mit Hass und Abscheu. Sie wollte beide Parasiten tot sehen.
Der Sprung hatte nur Sekunden gedauert, doch er war lange genug, damit eine geübte Wächterin sich vorbereiten konnte. Während sein Körper auf sie zuraste, warf sie ihre beiden Wurfmesser auf ihn. Die SIG hatte sie einfach fallen gelassen. Sie hatte nicht mehr genug Munition in der Waffe, um ihn damit aufzuhalten und nachladen würde zu lange dauern. Eines der Messer landete in seinem Hals, das andere wenige Zentimeter unter seinem Herzen.
Verdammt, knapp die Pumpe verfehlt.

Der Blutsauger landete mit einem schmerzverzerrten und wütenden Brüllen auf ihr. Er war zu schnell, so dass es ihm gelang ihre Handgelenke zu packen und ihre Arme über ihrem Kopf ausgestreckt festzuhalten. Jeder Vampir war körperlich viel stärker als ein Mensch. Aber Stärke allein machte einen Krieger nicht zwangsläufig überlegen.
„Du blöde Schlampe. Denkst du, eine kleine Wächterin kann einen Vampir mit zwei Messerchen aufhalten?“, knurrte er. Er warf einen Blick auf seinen Vampirfreund, der sich langsam wieder zu regen begann. „Du hättest dich verpissen sollen, als du es noch konntest. Du hast keine Ahnung, mit wem du dich hier anlegst.“

„Mit Oliver Hardy und Stan Laurel? Lass mich raten. Du bist der Dicke! Den Doofen habe ich schon ausgeknipst und du bist der nächste!“ Kleine Wächterin? Jessica mochte einiges sein, aber für eine Frau gewiss nicht klein.
„Schlampe! Ein erbärmlicher Mensch wie du, kann mich nicht besiegen.“ Er spuckte ihr ins Gesicht. Offenbar war er niemand, der sich gern verspotten ließ.
Jessica musste sich beeilen, wenn sie nicht als Vampirfutter enden wollte. Der Vampir auf ihr musste noch sehr jung sein, denn sein Körper war zu schwach, um die tief in seinem Leib steckenden Messer einfach durch die Wundheilung herauszudrücken, wie sie es schon bei älteren Vampiren gesehen hatte. Außerdem fühlte sie bei ihm nicht die geringste Aura von Macht. Anders als bei dem anderen. „Stan“ schien schon einige Jahrzehnte auf seinem untoten Buckel zu haben.
„Nein, ein erbärmlicher Mensch nicht“, flüsterte sie, „aber ein Wächter schon, du Arsch! Hat dir deine Mami nicht gesagt, dass man eine Frau erst zum Essen einlädt, bevor man sie flachlegt? Wenigstens meinen Namen solltest du doch wissen, he?“

Der Dicke lachte. Er war sich siegessicher, was ihn unvorsichtig werden ließ. „Ach ja? Wie heißt du denn?“ Er hielt ihre beiden Handgelenke jetzt nur noch mit einer Hand fest und zog das Messer unter seinem Herzen mit einem Ruck aus sich heraus, was ihn stöhnen ließ. Eines musste Jessica diesem Parasiten lassen. Er war verdammt gut darin, Schmerzen zu ertragen!
Sie grinste ihn an. „Jessica Sommers.“ Sie hoffte, er würde das andere Messer nicht auch herausziehen. Dann hätte sie verdammt schlechte Karten.
Sein Lachen verstummte. Er hatte also schon von ihr gehört.
„Kannst mich aber Herrin nennen, Parasit!“, spöttelte sie weiter.
„Fick dich!“, brachte der Vampir wütend hervor und sein Kopf schnellte vor, da er seine Zähne in ihre Kehle stoßen wollte, um das Spiel endlich zu beenden.

Darauf hatte Jessica gewartet und gehofft. Sie nutzte seine eigene Schnelligkeit aus, mit der er sich auf sie zubewegte und bäumte mit aller Kraft ihren Oberkörper auf. Dadurch rutschte er um einiges weiter an ihr nach oben, verfehlte ihren Hals und schlug mit dem Gesicht über ihren Kopf ungebremst auf den Bürgersteig auf.
Anfänger!

Der Griff des Messers, welches über seinem Schlüsselbein  aus seinem Körper herausragte, war wie von Jessica geplant jetzt neben ihrem Kopf. Mit voller Wucht schlug sie ihre Stirn seitlich dagegen, so dass der Griff zur Seite gedrückt wurde und die Klinge seinen Hals aufschlitzte. Seine Halsschlagader wurde dabei sauber durchtrennt und ließ das Blut nur so aus ihm heraussprudeln. Der Blutverlust schwächte den Vampir ausreichend, dass sich Jessica aus seinem Griff befreien konnte. Angewidert spürte sie sein klebriges, kaltes Blut an ihrer Wange und in ihren Haaren. Hm, sie sah bestimmt lecker aus. Erstaunlich, dass etwas, was sich so widerlich anfühlte, trotzdem so gut riechen konnte, und das tat das Blut aller Vampire, selbst für sie, obwohl sie die Parasiten so sehr verabscheute.

Die Schmerzensschreie des Blutsaugers mischten sich mit dem Wimmern von Muttersöhnchens Freundin. Jessica bemerkte verärgert, dass Muttersöhnchen mit seiner Verlobten immer noch da war. Wie bescheuert konnte man denn bitteschön sein und sich nicht schnellstmöglich verpissen, wenn zwei Kerle zu beißen begannen und eine große Blondine wild um sich schoss und mit Messern warf?
Jessica rollte den dicken Vampir von sich herunter, setzte sich rittlings auf ihn und umfasste ihr Kampfmesser mit beiden Händen. „Bye, bye, Oliver!“, nuschelte sie und rammte ihm die breite Klinge ins Herz. Sofort lag der Vampir reglos unter ihr und begann zu verwesen. Der war tot. Und scheiße, wie der jetzt stank. Der anziehende Duft war sofort verflogen.
Im Tod stinken alle gleich, selbst die Monster. Amen.

Aber der Kleine, Stan, lebte noch, doch wo verflucht war er? Als Jessica zu ihm blicken wollte, war er verschwunden.
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Jessica hörte wie Muttersöhnchens Freundin mit beeindruckender Lautstärke zu kreischen begann und sah zu ihr. Nein, oh verdammt nein! Muttersöhnchen lag mit aufgerissener Kehle am Boden. Seine Freundin wurde von dem kleinen Blutsauger festgehalten. Er hatte seinen Unterarm um ihre Kehle gelegt und drückte sie mit ihrem Rücken wie ein Schutzschild vor seine Brust. Durch ihre schicken, hochhackigen Schühchen war sie genauso groß wie er.
Jessica hob ihre SIG auf, zielte sicher auf die Stirn des Vampirs und starrte in seine dunklen Augen, in denen nicht die geringste Spur von Menschlichkeit lag. Das Leben der Frau bedeutete ihm nichts. Er würde nicht zögern, sie zu töten.

Das Blut des erledigten Parasiten tropfte von Jessicas Kinn und ihr Oberschenkel brannte und pochte von dem Vampirbiss. Es war ihr Glück, dass dieser Scheißkerl keine Arterie getroffen hatte. Anders als die Verletzungen der Blutsauger, heilten ihre Wunden nicht schneller als bei jedem anderen Menschen. Die Wunden des kleinen Vampirs, der der jungen Frau jetzt mit der Spitze seiner Zunge einmal über ihre tränennasse Wange leckte, waren dagegen bereits verheilt. Er musste sehr starke mentale Fähigkeiten haben, dass er sich so schnell von den vielen Kopfschüssen hatte regenerieren können. Wie ungewöhnlich, dass er dennoch die Kontrolle über sich verloren hatte und ein Abtrünniger geworden war.

Wieder leckte der Vampir über die Wange der jungen Frau, die daraufhin noch bitterlicher zu weinen begann. „Mhm … Ihre Haut schmeckt durch ihre Angst einfach delikat. Wen soll ich nur zuerst küssen? Dich, Wächterin, oder die kleine, freche Schlampe hier?“, grunzte er und lachte.
„Wenn du ihr etwas tust, bringe ich dich verdammt langsam um. Lass sie los!“, zischte Jessica.
„Ach ja?“, fragte der Vampir. Er packte die dunklen Haare der kleinen Frau und zog ihren Kopf nach hinten, um provokativ ihre Kehle zu entblößen. „Was kriege ich dafür, wenn ich auf dieses Stück Fleisch verzichte?“

„Einen schnellen Tod. Tut zwar auch weh, aber nur kurz.“
Ihre Antwort brachte den Vampir erneut zum Lachen. Dann schaute er sie plötzlich ernst an und sagte leise: „Wirf deine Waffen weg und ich lasse sie los. Ich will nicht sie. Ich will dich, hübsche Wächterin.“
Jessica runzelte ihre Stirn. Er verhandelte? Sie hatte noch nie einen abtrünnigen Vampir getroffen, der in der Lage gewesen war zu verhandeln. Und überhaupt. Jetzt wo sie Zeit hatte nachzudenken fiel ihr auf, dass beide Blutsauger sich nicht sofort gierig auf ihre Opfer gestürzt hatten, sondern konzentriert und taktisch gekämpft hatten. Scheiße!
Waren das nicht die Blutsauger, die sie ausschalten sollte? Dieser hier zumindest benahm sich wie ein Vampir, der sich ausgezeichnet beherrschen konnte.
„Wer bist du?“, fragte sie daher verwirrt.

„Na, Wächterin? Dämmert es langsam in deinem hübschen, blonden Köpfchen, dass du einen Fehler gemacht hast? Einen folgenschweren Fehler?“, fragte der Vampir und streichelte mit kreisenden Bewegungen seines Daumens das Kinn von Muttersöhnchens Freundin.
„Scheiße! Jessie! Nicht schießen, verdammt!“, rief ein glatzköpfiger Mann aus der Ferne, der wie Jessica eine olivgrüne Hose und Jacke trug. Er kam die Straße herunter gerannt und winkte ihr hektisch zu. Es trennten sie noch ungefähr fünfzig Meter.
Jessica zielte mit ihrer SIG weiterhin auf den Kopf des Vampirs, doch ihr Arm wurde schwer. Lange würde sie ihn nicht mehr so ausgestreckt halten können.
Die Gefahr war für die Frau jedoch weiterhin real. Egal was das für ein Blutsauger war, er stand kurz davor ihr die Kehle aufzureißen. Dennoch zögerte Jessica zu schießen.
„Lass sie los,  dann lasse ich dich gehen!“, bot sie ihm an.

„Steck deine Waffe ein, Wächterin! Sofort!“, befahl der Vampir und seine Stimme war plötzlich herrisch.
Jessie!“ Der Mann mit dem rasierten Schädel hatte sie erreicht und sein breiter Brustkorb hob und senkte sich schnell. Er kam nur langsam wieder zu Atem. „Jessie, das ist Jonathan. Von ihm haben wir den Auftrag erhalten, den Blutgeier auszuschalten. Er ist keiner von ihnen“, erklärte Mike hastig.
Verdammt! Sie kannte diesen Namen. Jonathan war einer der ranghöchsten Vampire New Yorks und ganz gewiss keiner der jungen, die unkontrolliert durch die Straßen tigerten. Doch für die Frau würde es keinen Unterschied machen, wer sie tötete.
„Er hat die Menschen auf offener Straße angegriffen. So etwas machen nur Blutgeier“, sagte Jessica wütend. Obwohl sie wusste, dass das Leben der Frau nur noch dem Wohlwollen des Vampirs ausgeliefert war, da Jessica nicht eingreifen durfte, sagte sie stur: „Lass sie los oder ich knall dich ab!“

Jonathan musterte sie und er wirkte nicht die Spur verängstigt, sondern amüsiert. „Blutgeier?“, fragte er. „Was ist denn das?“
„So nennen wir die abtrünnigen Vampire, die zeigen was sie sind. Was ihr alle in Wirklichkeit seid. Monster!“, knurrte Jessica und ließ den Lauf der Waffe etwas nach unten zeigen.
Der kleine Vampir grinste und entblößte dabei seine weißen Zähne. Seine Eckzähne waren nicht mehr verlängert und sein Gebiss sah daher nicht anders aus, als das eines Menschen.
„Vam- Vam- Vampire?“, winselte die Frau und erschlaffte benommen in seinen Armen.
„Ja, Schätzchen.“ Jonathan küsste sie auf ihr Haar. „Ich bin ein Vampir.“ Bevor Jessica reagieren konnte, hatte er der kleinen Frau das Genick gebrochen. Er ließ ihren toten Körper lächelnd auf den Boden gleiten, legte seinen Zeigefinger über seine Lippen und flüsterte: „Pst, ich glaube sie schläft!“
„Du verfluchtes Arschloch“, brüllte Jessica und umklammerte fest den Griff ihrer Pistole, den Lauf der Waffe auf sein Herz gerichtet.

Sie war wütend, so wütend! Aber sie wusste, dass sie nicht schießen durfte. Der Rat hatte vor acht Jahren, nach dem Krieg zwischen den Blutsaugern und der Organisation, einen neuen Pakt mit den Vampiren geschlossen. Der beinhaltete auch, dass Wächter nur die Blutgeier jagen und töten durften.
Verdammt. Jessica war das alles so leid und spürte eine bleierne Müdigkeit. Sie war eine Wächterin. Dafür war sie ausgebildet worden und für diesen Weg hatte sie sich entschieden. Doch in Momenten wie diesen, fühlte sie sich leer und ausgebrannt. Sie schaute auf Muttersöhnchen und die dunkle Blutlache, die sich um seinen leblosen Körper gebildet hatte. Sein Arm war seitlich ausgestreckt, so dass der Anschein erweckt wurde, er würde nach seiner toten Freundin greifen, selbst im Tode noch versuchen, sie zu schützen.

Oh Gott, war das wirklich alles, was Jessicas Leben bestimmte? Kampf, Blut und Tod?
Jessica schob die Gedanken von sich und verstaute sie zu den anderen vielen Dingen, an die sie nicht denken wollte. Womit sie sich jetzt auseinandersetzen musste, war ätzend genug. Sie hatte Scheiße gebaut und Jonathan genoss es.
Sie hatte gegen den Pakt verstoßen. Der andere Parasit war auch kein Abtrünniger gewesen, das war ihr nun klar. Nervös fummelte sie an dem silbernen Kreuzanhänger, der an einer Kette um ihren Hals hing. Einen folgenschweren Fehler hatte Jonathan es genannt, was sie getan hatte. Das konnte man wohl sagen. Jessica konnte nicht einschätzen, was ihre Fehleinschätzung und die Tötung des Vampirs für Konsequenzen nach sich ziehen würde.

Jonathan verbeugte sich mit einem süffisanten Grinsen. „Du wolltest doch, dass ich die Frau loslasse. Das habe ich getan, also schau nicht so grimmig … Du bist eine exzellente Kämpferin, Ms Jessica Sommers. Sind deine Talente im Bett ähnlich vorzüglich?“
„Das werden Sie wohl kaum jemals erfahren, Mr Jonathan“, sagte sie und wechselte in eine höfliche Anrede. Was blieb ihr übrig? Ihr fiel auf, dass er sie mit ihrem Namen angesprochen hatte. Als sie dem anderen Vampir verriet, wer sie war, war Jonathan noch bewusstlos gewesen. „Woher wissen Sie, wer ich bin?“, fragte sie daher verdutzt. Die Blutsauger würden kaum einen Steckbrief mit Foto von ihr haben. 

Name: Jessica Sommers
Alter: 28
Größe: 1,78 Meter
Haarfarbe: blond
Beruf: Wächter
Hobbys: Popcorn essen und Blutsauger abknallen

„Ich war es, der deinen Vermittler anrief, Ms Sommers. Ich habe ausdrücklich darum gebeten, dass du dich um das, äh, Blutgeier-Problem in meinem Teil von New York kümmerst. Hat dir das Mr Mcbright nicht gesagt?“
„Offenbar nicht“, antwortete sie und fragte sich, ob die Blutsauger des Öfteren einen ganz bestimmten Wächter schicken ließen. Als würde man sich eine Pizza ordern. Verdammt, sie könnte kotzen.
Preis pro Wächter: 99,99 $
Vielen Dank für ihre Bestellung. Er wird innerhalb von fünfundvierzig Minuten geliefert. Schaffen wir es nicht pünktlich, dürfen Sie den Wächter beißen und müssen nicht bezahlen.

„Ich hörte, du seist eine der besten Kriegerinnen der Organisation. Ich wollte dich schon länger … kennenlernen.“ Das letzte Wort betonte er zweideutig, was Jessica mit einem Stirnrunzeln quittierte. „Beseitigt bitte den Müll für mich, Wächter.“ Der Vampir zeigte mit einer abfällig wedelnden Geste auf die Leichen. „Ah, und den Vampir, den du eigentlich jagen solltest, Ms Sommers, habe ich schon für dich geköpft. Ich traf ihn zufällig und – nun ja. Ich entschied mich kurzerhand, ihn selbst zu richten. Er liegt jetzt in der Wohnung, die ich euch nannte. Das, was von ihm übrig ist. Entsorge  bitte auch das, Wächterin.“ 

„Sicher.“ Du kannst mich mal, Arschloch!
Jessica bückte sich und hob ihre beiden Wurfmesser vom Boden auf. Sie wischte die Klingen an ihrer Stoffhose ab und steckte die Waffen dann ein. Zuletzt auch ihre SIG. Es wirkte lächerlich, wenn man auf jemanden zielte, der wusste, dass man nicht abdrücken würde. Außerdem wurde ihr Arm immer schwerer und sie wollte nicht, dass der Blutsauger sah, wie ihre Muskeln zu zittern begannen. Das erste, was ein Wächter in der Ausbildung lernte, war, einem Vampir gegenüber niemals eine Schwäche zu offenbaren.

Mit einem ärgerlichen Zischen fuhr sie mit ihrer Hand über ihren Oberschenkel. Das Grün der Stoffhose hatte sich durch ihr durchsickerndes Blut braun gefärbt. Noch eine Bisswunde. Na toll! Als hätte sie nicht bereits genug Narben.
Jonathan schritt auf sie zu und mechanisch legte sie die Hand wieder auf ihre SIG. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und biss ihre Kiefer fest aufeinander. Das selbstsichere Auftreten des Vampirs verstärkte ihre Wut.

Der Blutsauger war fast einen halben Kopf kleiner als sie, aber sie war mit ihren fast eins achtzig nun mal eine große Frau und seine schmale Statur täuschte nicht darüber hinweg, um wie viel stärker er war, als Jessica. Er sah zu ihr auf und kurz befürchtete sie, dass er sie anfassen würde, doch er war klug genug, es nicht zu tun. Bei Gott, dann hätte sie vermutlich doch noch geschossen.
„Du hättest mich beinahe getötet. Deine Kraft hat mich überrascht. Du bist noch geschickter und stärker, als dein Ruf vermuten ließ. Jetzt weiß ich, wer du bist, Wächterin. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich vorsichtiger sein.“

Jessica zuckte die Schultern und blickte feindselig auf ihn hinab. „Wenn ich Sie das nächste Mal sehe, kümmere ich mich auf gleiche Weise um sie, wie um ihren dicken Freund.“
Er lachte, als wäre er wirklich erheitert, doch Jessica wusste, dass Vampire nicht gut über sich selbst lachen konnten. „Ach ja? Du willst mich töten? Ich denke nicht, dass du das tun darfst oder kannst.“
Natürlich dürfte sie ihn nicht töten. Die Organisation verbot es  und sie war eine Wächterin. Sie gehorchte den Befehlen des Rates. Uneingeschränkt! Auch wenn das bedeutete, einen Vampir am Leben zu lassen und dafür ein unschuldiges Leben zu opfern – oder zwei …

Jonathan zückte eine Visitenkarte und reichte sie ihr. „Bitte. Besuche mich  in meinem Haus. Ich verspreche dir, dich nicht zu beißen. Ich wüsste andere Dinge, die ich lieber mit dir täte.“ Sein Blick glitt über ihren Körper und ließ keinen Zweifel daran, was er von ihr wollte.
Jessica beugte sich zu ihm hinab, zerriss seine Karte, ohne darauf geblickt zu haben, und flüsterte: „Eher schneide ich mir die Pulsadern auf, Baby. Ist eigentlich alles an Ihnen so klein? Mhm, werde ich wohl nie erfahren.“ Die Papierschnipsel ließ sie zu Boden rieseln und wie man eine Zigarette austreten würde, rieb sie ihren Fuß darüber.

Die Zurückweisung kränkte ihn nicht, er lachte nur erneut und schlenderte an ihr vorbei, als hätte er nicht gerade kaltblütig zwei Menschen ermordet. „Wie amüsant, Ms Sommers. Pulsader aufschneiden. Was für eine Verschwendung das wäre.“ Im Gehen drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Dein Blut riecht  ausgesprochen gut, Wächterin, und es schmeckt delikat. Ich wette, du schmeckst überall äußerst erlesen. Ist es so? Ich denke, ich werde es irgendwann erfahren.“ Dann huschte er blitzschnell davon.
„Oh, Scheiße. Er hat dich gebissen? Du bist verletzt? Verdammt. Dein Bein!“, brabbelte Mike mehr zu sich, als zu ihr, und bückte sich, um ihren Oberschenkel zu untersuchen. „Lass mal sehen.“
„Ist nicht schlimm“, murmelte Jessica und bemühte sich, Mikes Fürsorge zu entkommen. Sie blickte traurig und zornig zu dem toten Muttersöhnchen und seiner Freundin. Er würde kein Leben mehr retten und sich nicht mit seiner Tochter streiten können. Mit niemandem mehr. Plötzlich fand sie die Zukunft, die sie für ihn erdacht hatte, nicht mehr belustigend und bemitleidenswert. Sie kam ihr jetzt so erstrebenswert vor, wie nichts anderes.

Jessica zuckte vor Mike zurück, der erneut versuchte ihr Bein unter die Lupe zu nehmen. Sie wich ihm unbewusst aus, da sie völlig in Gedanken an das eben Geschehene versunken war. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen!
„Scheiße! Dieser Blutsauger hat die ganze Zeit mit mir gespielt. Er hat gewusst, für wen ich ihn halte und mir nicht gesagt, wer er ist! Er wollte mit mir kämpfen. Er wollte mich kalt machen und es so aussehen lassen, als hätte ich ihn entgegen des Abkommens einfach angegriffen. Das war alles von diesem Arschloch geplant!“ Jessica ballte ihre Hände zu Fäusten und trat gegen die verweste Leiche des dicken Vampirs. Sofort zuckte ein heißer Schmerz durch ihren verletzten Oberschenkel. Dieser tote Blutsauger war erst vor ein paar Wochen verwandelt worden. Das konnte sie an dem Zustand der Leiche erkennen.

Jessica schilderte Mike knapp, was sich zugetragen hatte. Er hatte es mittlerweile trotz ihrer Ausweichmanöver geschafft, ihr Bein festzuhalten und das Loch in der Hose zu vergrößern, um die Fleischwunde zu inspizieren.
„Melde der Zentrale, dass wir jemanden zum Aufräumen brauchen und dass man sich um die Polizei kümmert, die hier gleich auftaucht. Ich musste schießen und die Anwohner werden das gehört und die Cops gerufen haben. Ein Wunder, dass sie noch nicht da sind“, sagte sie und schob ungeduldig Mikes Hände von ihrem Bein. Es war ihr unangenehm, dass er die Bissspuren sah. Ärzte konnten so nervig sein.

„Dieser Einsatz war geplant, daher haben wir uns vorsorglich schon um die Polizei gekümmert. Es wird  keiner von denen kommen, nur unsere Leute.“
„Oh … Kontrollieren wir etwa schon die New Yorker Polizei?“
„Ja.“
„Oh … Das ist – gut.“ Jessica blinzelte irritiert. Hätte man sie als erste Wächterin von so etwas nicht unterrichten können? Wieso Mike mehr wusste als sie, hinterfragte sie nicht. Sie war zu benommen und zu erschöpft, um sich auch noch über so etwas den Kopf zu zerbrechen.
„Jessie, komm schon. Ich kann dich in deine Wohnung bringen“, sagte er und wollte sie stützen.
„Nein, mir geht es gut“, entgegnete sie und stieß ihn grob von sich, wobei sie unbeabsichtigt ins Wanken geriet. Ihr Bein tat verdammt weh!
„Sei nicht so stur. So kannst du nicht Auto fahren.“
„Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Mike! Ich bin dein erster Wächter“, sagte sie schroff.
Mike kniff seine Augen zusammen und rieb sich den Nasenrücken. „Jessie! Ich bin dein Freund und dein Arzt. In diesem Zustand solltest du wirklich nicht-“
„Mike!“, unterbrach Jessica ihn und funkelte ihn zornig an. „Bleib hier und hilf dabei, alle Spuren zu beseitigen. Ich fahre zurück zu Frank und – bah! Ich teile ihm mit, dass ich versagt habe.“
„Wie du willst … Jessie. Du hast nicht versagt“, sagte Mike sanft und streichelte ihre blutverkrustete Wange.

Gott, sie brauchte unbedingt eine Dusche und ungefähr siebzig Jahre Schlaf.
„Doch. Ich hätte erkennen müssen, dass diese Parasiten keine Blutgeier sind. Ich hätte anders vorgehen müssen. Vielleicht wären die beiden Menschen dann noch am Leben … Ich habe einen von ihnen getötet, Mike.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Verdammt! Jonathan hat mich vorgeführt wie einen Idioten. Wie alt ist der überhaupt? Seine Wunden heilen wahnsinnig schnell.“
„Über zweihundert Jahre“, sagte Mike leise. Er lebte seit zehn Jahren in New York und kannte alle Vampire, die eine gewisse Machtposition erreicht hatten, meist mit Namen und Alter. Er hatte ein beeindruckendes Gedächtnis.
„Zweihundert? Scheiße.“ Sie hatte noch nie gegen einen so alten Vampir gekämpft. Jessica humpelte den Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr Auto hatte sie einige Blocks entfernt geparkt. Verdammt. Sie wusste, sie tat Mike Unrecht und sollte nicht selbst zurückfahren, doch sie wollte jetzt allein sein.

Diese verfluchten Parasiten, diese Ausgeburten der Hölle! Wie sie sie hasste. Jessica spielte mit dem silbernen Kreuzanhänger um ihren Hals und bat Gott um Vergebung, dass sie das Pärchen nicht hatte retten können.
Irgendwann würde die Organisation alle Vampire ausmerzen, damit das sinnlose Morden endlich aufhörte.
Irgendwann …
Mit Gottes Hilfe!
Nicht umsonst nannten sich die Wächter auch die Soldaten Gottes. Menschen waren die Geschöpfe Gottes und Vampire waren die Kreaturen des Teufels.
Gott unterstützte ihren Kampf gegen das Böse und am Ende sollte das Gute gewinnen.
Am Ende gewann das Gute! Das war schon immer so.
Jessica blinzelte ihre Tränen aus den Augen und öffnete den schwarzen Honda. Die Nacht war vorbei. Erste Sonnenstrahlen berührten die Häuserdächer New Yorks. Die Wolken verzogen sich und offenbarten langsam einen blauen Himmel. Es sollte ein schöner Tag werden, in dessen vorangegangener Nacht jedoch das Gute verloren hatte.

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