Hallo Freunde der Nacht!
Es ist wieder Sonntag und somit geht es weiter in unserer Welt `Zwischen Göttern und Teufeln`.
Wir sind jetzt bei Kapitel zwei. Ihr lernt nun die Wächterin Jessica Sommers kennen.
Im ersten Kapitel habe ich euch schon ein paar Vampire vorgestellt. Den kühlen, taktischen Marcus, den bösen, sadistischen Antonius, den mächtigen König Ephraim, die ängstliche Alessina und den fiesen Falk.
Was ist Jessica für ein Charakter?
Um ihr Wesen zu beschreiben, habe ich mir eine Kampfszene ausgewählt, denn kämpfen ist es, was ihr Leben bestimmt. Der Kampf ist es, worüber sie sich identifiziert. Aber ist sie glücklich dabei? Wärt ihr es an ihrer Stelle? Was haltet ihr von der Wächterin?
Hättet ihr Lust euch auch mal im Kampf gegen böse Vampire zu behaupten? Ich freue mich auf eure Kommentare!
Viel Spaß mit dem zweiten Kapitel wünscht euch,
Jessica Sommers |
Der Pakt – Zwischen Göttern
und Teufeln, Band eins
Copyright: © 2013 Laya Talis
Kapitel zwei
Jessica
Fünf Jahre später
Zum Ende des Sommers, New
York
Jessica
Sommers war achtundzwanzig Jahre alt und lebte seit fast acht Jahren in New
York. Sie mochte diese Stadt. Sie mochte die Menschenmassen, die Autoschlangen,
den Gestank im Sommer, die Kälte im Winter, die Hektik während des Tages und
das pulsierende Nachtleben. New York bei Nacht. Die Stadt, die niemals schlief.
Der
Himmel war voller Wolken und auf den Straßen und Bürgersteige fand man
teilweise riesige Pfützen. Es hatte aber zumindest endlich aufgehört zu regnen.
Nach beinahe einer Woche Dauerregen wurde es auch Zeit! Schließlich sollte sich
Jessicas Stadt in kein verfluchtes Venedig verwandeln.
Jessica
zog den Reißverschluss ihrer olivgrünen Sommerjacke ein Stück nach unten, um
leichter nach ihrer Pistole greifen zu können, und beobachtete ein Pärchen, das
eng umschlungen vor ihr herlief. Die Frau trippelte auf hohen Riemchensandalen
über den asphaltierten Bürgersteig und kuschelte sich an den Arm ihres
Freundes. Beide waren elegant gekleidet, als kämen sie von einer schicken
Party. Mit diesen zierlichen Schühchen angetan, lag der Schluss nahe, dass ihr
Weg nach Hause nicht weit war, ansonsten wären sie sicher mit einem Taxi
gefahren und nicht zu Fuß gegangen. Wie
konnte man überhaupt mit solchen Tretern laufen? fragte sich Jessica. Gott
hatte sich schon etwas dabei gedacht, den Fuß anatomisch so zu formen, dass die
Sohle breiter war als ein Penny.
„Ich
habe das Gebäude gleich erreicht. Weißt du, ob Mike schon dort ist? – Ist er
nicht? Wo ist er?“ Jessica sprach in ihr Handy und ihre freie Hand umfasste
bereits sicher den Griff ihrer SIG, die sie noch unter ihrer Jacke verborgen,
in einem Holster über ihrer Hüfte trug. In ihrem Job ging man nicht unbewaffnet
auf die Straße.
Scheiße!
Jessica ging ohne Waffe nicht mal auf ihr eigenes Klo und ganz gewiss nicht
nachts durch New York! Im Gegenteil. Zu der SIG gesellten sich dann mindestens
zwei Wurfmesser. Erst recht, wenn sie auf der Jagd war und genau das war der
Grund, warum sie sich nur eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang in dieser
ruhigen Gegend aufhielt.
Jessica
lauschte, was der Mann, mit dem sie telefonierte, ihr mitteilte, dann bellte
sie ungehalten: „Er ist wo? Verdammt! Der kann vor ´ner
halben Stunde nicht hier sein. Ich kann auch keinen anderen Wächter herrufen.
Die bräuchten noch länger, um herzukommen. Ach, verdammt! Ich kann auch allein
gehen.“ Wütend schnaufte sie, als der Mann am Telefon es ihr untersagte.
„Frank! Ich kann auf mich aufpassen“, widersprach sie eilig. Frank McBright war
nicht nur ihr Freund, sondern auch ihr Vermittler und somit ihr Vorgesetzter.
Mike war wie sie ein Wächter, Mitglied ihres Teams und ihr Arzt, was es nur
logisch machte, dass er nach Möglichkeit immer bei einer Jagd dabei war. Alle
Wächter hatten zwar eine Ausbildung zum Sanitäter absolviert, aber Mikes
Fachwissen hatte schon des Öfteren einem Wächter das Leben gerettet. Außerdem
organisierte er den Abtransport der Leichen, die sie, wenn sie ihre Arbeit
erledigt hatten, zwangsläufig zurückließen. Im besten Falle nur die ihrer
Feinde.
„Verdammt
… Ja, ich habe verstanden. Ich werde auf ihn warten … Ich liebe dich auch.“
Jessica fluchte erneut, nachdem sie aufgelegt hatte.
Das
Pärchen, das eben noch in schöner Eintracht vor ihr hergedackelt war, fing
plötzlich lautstark zu streiten an. Das hatte Jessica gerade noch gefehlt.
Diese beiden Vollidioten hatten keinen Schimmer, wessen Aufmerksamkeit sie
damit auf sich ziehen könnten. Wie sollten sie auch ahnen, welche Gefahr in
ihrer unmittelbaren Nähe lauerte?
Jessica
blieb stehen und verstaute ihr Handy in der Brusttasche ihrer Jacke.
Hoffentlich beeilte sich Mike. Sie sah sich aufmerksam um. Außer dem Paar, das
einige Meter vor ihr gestoppt hatte, war sie allein. In dieser Gegend, am Rande
New Yorks, waren die Straßen zu dieser Zeit verwaist. Die Stadt, die niemals
schlief, hatte einige Bezirke, die diese Regel konsequent missachteten.
Nur
noch fünf Gehminuten von ihrer derzeitigen Position entfernt, sollte sich in
einem Mietshaus ein abtrünniger Vampir einquartiert haben. Da die Sonne bald
aufging, war der Blutsauger entweder schon in seine Wohnung zurückgekehrt oder
würde es bald tun. Meistens suchten Vampire immer den gleichen Unterschlupf
auf. Zumindest junge Vampire, die sich noch an das Leben als Unsterbliche
gewöhnen mussten. Gerade in den ersten Jahren ihres neuen Daseins geschah es
jedoch immer wieder, dass die Verwandelten die Kontrolle über sich verloren und
Nacht für Nacht ihrer Blut- und Mordgier erlagen und ihr Unwesen trieben, ohne
Rücksicht darauf entdeckt zu werden. Wenn sie sich auf alles stürzten, was
menschlich war und einen Herzschlag hatte, waren es Wächter wie sie, die sie
aufhalten mussten. Manchmal wurden die Wächter von anderen, „normalen“ Vampiren
beauftragt, damit sie sich um die außer Kontrolle geratenen Blutsauger, die sie
die Abtrünnigen nannten, kümmerten.
Da es keine Heilung gab, hieß das, sie zu jagen und zu töten.
Nicht,
dass Jessica die „normalen“ Vampire für weniger böse oder grausam hielt, doch
der Unterschied lag darin, dass sie im Verborgenen Monster waren und ihre
Begierden nicht öffentlich stillten. Die Monster wollten die abtrünnigen
Monster vernichtet wissen, damit sie die Existenz ihrer Art nicht durch ihr
unkontrolliertes, öffentliches Morden Preis gaben. Zu besseren Wesen machte es
sie allerdings nicht. Ein Monster blieb ein Monster. Ob es sich nun versteckte
und tötete, oder es gleich auf offener Straße tat.
Jessica
zog sich in eine Hausnische zurück und hörte dem streitenden Paar zu. Bei ihrem
Zwist ging es darum, dass er ein Jobangebot in einer Klinik in Boston
angenommen hatte. Jessica grinste, als sie mitanhörte, dass der junge
Assistenzarzt offenbar mit seiner Mutter
alles beraten, aber seine Verlobte lediglich vor vollendete Tatsachen gestellt
hatte.
Als
die junge Frau begann mit ihrer Handtasche auf ihn einzuschlagen und ihn einen
Schlappschwanz und ein Muttersöhnchen nannte, tat er Jessica fast leid. Es war
zu offensichtlich, dass der hübsche Blondschopf, der die kleine Frau um gute
eineinhalb Köpfe überragte, tatsächlich alles tat, um seiner Mami alles recht
zu machen und auch dem Jähzorn seiner kleinen, zukünftigen Ehefrau nichts
entgegenzusetzen hatte.
Jessica
stellte sich vor, wie er in fünfzehn Jahren mit dieser Frau eine pubertierende
Tochter haben würde, die ihrem Daddy ebenso die Hölle heiß machte, wie die Ehefrau
und die Mutter. Jessica biss sich auf die Lippe, um nicht aufzulachen. Sie sah
es regelrecht vor sich, wie er in einer Nacht mehreren Menschen in seinem Beruf
als Arzt das Leben gerettet hatte, um danach in sein Haus zurückzukehren, in
dem die drei Frauen auf ihn warten und ihn gnadenlos mit ihren Handtaschen
vermöbeln würden. Handtaschen, die er ihnen zu Weihnachten geschenkt hatte.
Passend zu kleinen, süßen Sandälchen.
Mittlerweile
war das dünne Riemchen des Trägers der Handtasche der Frau gerissen. Natürlich
war das seine Schuld!
Armes Doktor
Muttersöhnchen.
Eine
unbekannte Stimme unterbrach die Beiden: „Hast du deine Süße nicht im Griff?“
Höhnisches
Gelächter erklang.
Jessicas
Körper spannte sich kampfbereit und wachsam an, doch vorerst zog sie sich noch
weiter in die Hausnische zurück und spähte die düstere Straße herunter. Aus
einer Seitengasse traten zwei Gestalten.
„Vielleicht
sollten wir ihm zeigen, wie man eine Frau gefügig macht.“
„Ich
kann ihm noch einiges beibringen.“
Wieder
lachten die fremden Männer.
Dreckskerle!, dachte Jessica.
„Was
soll das? Verpisst euch, ihr Arschlöcher!“, pöbelte der Arzt mutig zurück.
Oho. Muttersöhnchen
kannte Schimpfwörter.
Er wurde Jessica langsam sympathisch.
Die
zwei Männer, die sich dem Pärchen in Kreisen näherten, hatten eine straff
gespannte, auffällig glatte und faltenlose Haut, die fast so bleich war wie
Papier. Das Weiße ihrer Augen war heller als bei Menschen, die Stimmen
einlullend und düster, die Bewegungen schnell und fließend. Mehr katzengleich,
denn menschlich, pirschten sie sich an ihre Opfer heran. Dies zusammen ließ nur
eine Schlussfolgerung zu:
Vampire.
Dass
sie auf offener Straße das Paar anzugreifen beabsichtigten, war Jessica Beweis
genug. Es mussten die Blutsauger sein, wegen denen sie hier war. Sie hatte
allerdings nur einen Abtrünnigen erwartet. Schnäppchen. Zwei für den Preis von
einem. Aber sie war allein. Verdammt.
Jessica zog ihre SIG und taxierte nochmals die Umgebung, ob sich noch mehr
Feinde zeigten, aber zum Glück konnte sie niemanden ausmachen.
Auf
Mike konnte sie nicht warten. Sie wollte die Menschen nicht ihrem Schicksal
überlassen und sie von den verfluchten Parasiten aussaugen lassen. Abgesehen
davon, dass die beiden Vampire sie bereits bemerkt hatten und zu ihr herüber
blickten. Da Jessica die typische olivgrüne Kleidung der Wächter trug,
erkannten sie umgehend, was sie war.
„Sieh
an, mein junger Freund. Eine Wächterin“, sagte einer von ihnen und schien sich
zu freuen sie zu sehen. Das würde sich bald ändern. Noch wusste er nicht, welchem
Wächter er gegenüberstand!
„Wächter,
misch dich nicht ein. Das hier geht dich nichts an“, zischte der größere von
ihnen und klang im Gegensatz zu seinem Kumpanen wütend. Er war untersetzt. Es
war der erste dicke Vampir, dem Jessica jemals begegnet war. Der Körper von
Verwandelten veränderte sich nicht mehr. Er konnte trainieren, so viel er
wollte, er würde immer ein Pummelchen bleiben. Scheiße, und gegen sein Gesicht
konnte er auch nichts machen. Seine Nase war so groß, dass es beinahe komisch
aussah. Pech für ihn.
„Was
soll das? Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei.“ Muttersöhnchen wurde
richtig sauer und baute sich vor seiner kleinen Freundin auf, die hinter seinem
Rücken Schutz suchte. Sein Handy lag schon einsatzbereit in seiner Hand.
Aha. Mit einer Handtasche
verhauen konnte Muttersöhnchens Darling ihn, aber wenn wirkliche Gefahr drohte,
sollte er sie trotzdem beschützen. Blöde
Kuh!, dachte Jessica.
„Ich
bin von der Polizei, Sir! Ich habe alles unter Kontrolle“, log Jessica, da sie
die Cops genauso wenig hier haben wollte, wie die Blutsauger, an die sie sich
jetzt wandte. „Ganz Recht, Parasit. Ich bin ein Wächter und ich knall dich
ab!“, sagte sie völlig kalt und schoss. Das Liebchen von Muttersöhnchen schrie
auf. Er hingegen reagierte erstaunlich besonnen, warf seine Freundin auf den
Boden und sich selbst schützend auf sie.
„Sie
können doch nicht einfach schießen“, rief der Arzt entsetzt. Wenn er wüsste
wer, nein was, diese Männer in Wirklichkeit waren, würde er sich nicht
daran stören, dass sie losgeballert hatte. Dennoch hoffte Jessica, dass er es
nicht erfahren würde.
Jessica
zog ihr langes Kampfmesser aus ihrem Stiefel. Ihre beiden Wurfmesser lagen noch
verborgen in den an ihren Unterarmen umgeschnallten Scheiden und warteten
geduldig auf ihren Auftritt. Die Jacke war weit genug geschnitten, dass sie
problemlos die Griffe ergreifen und sie herausziehen konnte.
„Miststück!“,
brüllte der dicke Vampir, auf den sie geschossen hatte. Er war mit einer
Geschwindigkeit ausgewichen, die kein Mensch erreichen konnte, dennoch hatte
Jessica ihn zweimal am linken Oberschenkel treffen können. So lange die
Blutsauger keine beträchtliche Menge Blut verloren, war dies bedauerlicherweise
keine Verletzung, die einen von ihnen länger als einige Sekunden aufhielt, da
ihre Wunden zu schnell heilten.
Beide
Vampire näherten sich Jessica. Der eine von rechts, der andere von links.
„Ich
rieche dein Blut, Wächterin. Mhm, welch ein ungewöhnlich anziehendes Aroma. So
verlockend, wie ich es bisher bei keinem anderen Menschen gerochen habe“, sagte
der kleinere, nicht dicke Vampir. Sein Haar war beinahe schwarz und hing ihm in
klebrigen Strähnen ins Gesicht. Erst als er näher kam, erkannte Jessica, dass
es frisches Blut war, das sein Haar
dunkler färbte und feucht glänzen ließ. Muttersöhnchen und seine Freundin wären
heute Nacht nicht ihre ersten Opfer gewesen.
Jessica
kämpfte gegen die Übelkeit an und stürmte auf den kleinen Vampir zu, der in die
Luft sprang, um sich von oben auf sie zu stürzen.
Jessica
machte einen Hechtsprung nach vorn, unter ihn hindurch, und drehte ihren Körper
im Flug einmal um die eigene Achse, damit sie mit dem Gesicht nach oben durch
die Luft glitt. Sie rammte ihr Messer geübt in den weichen Bauch über ihr und
schlitzte den völlig überraschten Blutsauger bis zu seiner Brust auf. Das würde
selbst einen Parasiten wie ihn etwas beschäftigen. Unsanft schlug sie mit dem
Rücken auf den Asphalt. Durch den harten Aufprall wurde ihr die Luft aus den
Lungen gepresst. Bei einem Kampf mit Vampiren konnte jede Rücksichtnahme auf
Schmerzen ihren Tod bedeuten, deshalb schoss Jessica schon im Fall und auch
nach ihrer Landung ununterbrochen auf den zweiten Blutsauger, der bereits auf
sie zu gerannt kam. Sie verfehlte ihn jedoch und fluchte. Auch jeder noch so
kleine Fehler konnte ihr Todesurteil sein, und sein Ziel zu verfehlen war weiß
Gott kein kleiner Fehler. Ihre Hand
war nass von dem kalten Blut des Vampirs und der Griff des Messers wurde
dadurch glitschig. Jessica musste aufpassen, dass sie es nicht fallen ließ. Der
magische, anziehende Duft von Vampirblut, nach Eisen und Minze, hüllte sie ein,
doch eine erfahrene Wächterin wie sie, ließ sich davon nicht ablenken.
„Rennt!
Los!“, rief sie dem Arzt und seiner Freundin zu. Letztere klammerte sich
kreischend an Muttersöhnchen. Beide waren jetzt fast so bleich wie die Vampire,
und lagen tatsächlich noch immer auf dem Bürgersteig und starrten Jessica und
die Vampire schockiert an.
„Ahhh!“
Jessica schrie auf, als sich die spitzen Reißzähne des kleinen Vampirs – der
mit der extra Belüftung in Bauch und Brust, sozusagen die Cabrio-Version eines
Untoten – in ihren Oberschenkel bohrten. Er nahm Jessica das Messer ab, löste
seinen Mund wieder von ihr und starrte sie mit aufleuchtenden Augen an. Während
er versuchte ihre SIG zu erreichen, tropfte von seinen ausgefahrenen Fangzähnen
Jessicas Blut.
Jessica
ließ ihm keine Zeit erneut zuzubeißen oder sie ganz zu entwaffnen. Sie schoss
wieder und wieder in sein Gesicht, bis davon nur noch eine undefinierbare,
breiige Knochen-, Blut-, und Fleischmasse übrig war und er endlich bewusstlos
auf ihr zusammenbrach. Bevor sie sich jedoch von dem Gewicht seines
erschlafften Körpers befreien konnte, hatte der Dicke sie erreicht. Mit einem
wütenden Kampfschrei ging er in die Hocke, stieß sich mit den Füßen vom Boden
ab und sprang mit geöffnetem Mund direkt in Richtung ihrer Kehle.
Lernten
es die Blutsauger nie? Mit ihren Sprüngen taten sie sich selbst selten einen
Gefallen.
Jessica
rührte sich nicht und erwartete den Vampir mit einem bösen Lächeln. Ihr Herz
raste vor Zorn, jeder Schlag war angefüllt mit Hass und Abscheu. Sie wollte
beide Parasiten tot sehen.
Der
Sprung hatte nur Sekunden gedauert, doch er war lange genug, damit eine geübte
Wächterin sich vorbereiten konnte. Während sein Körper auf sie zuraste, warf
sie ihre beiden Wurfmesser auf ihn. Die SIG hatte sie einfach fallen gelassen.
Sie hatte nicht mehr genug Munition in der Waffe, um ihn damit aufzuhalten und
nachladen würde zu lange dauern. Eines der Messer landete in seinem Hals, das andere
wenige Zentimeter unter seinem Herzen.
Verdammt, knapp die
Pumpe verfehlt.
Der
Blutsauger landete mit einem schmerzverzerrten und wütenden Brüllen auf ihr. Er
war zu schnell, so dass es ihm gelang ihre Handgelenke zu packen und ihre Arme
über ihrem Kopf ausgestreckt festzuhalten. Jeder Vampir war körperlich viel
stärker als ein Mensch. Aber Stärke allein machte einen Krieger nicht
zwangsläufig überlegen.
„Du
blöde Schlampe. Denkst du, eine kleine Wächterin kann einen Vampir mit zwei
Messerchen aufhalten?“, knurrte er. Er warf einen Blick auf seinen
Vampirfreund, der sich langsam wieder zu regen begann. „Du hättest dich
verpissen sollen, als du es noch konntest. Du hast keine Ahnung, mit wem du
dich hier anlegst.“
„Mit
Oliver Hardy und Stan Laurel? Lass mich raten. Du bist der Dicke! Den Doofen
habe ich schon ausgeknipst und du bist der nächste!“ Kleine Wächterin? Jessica mochte einiges sein, aber für eine Frau
gewiss nicht klein.
„Schlampe!
Ein erbärmlicher Mensch wie du, kann mich nicht besiegen.“ Er spuckte ihr ins
Gesicht. Offenbar war er niemand, der sich gern verspotten ließ.
Jessica
musste sich beeilen, wenn sie nicht als Vampirfutter enden wollte. Der Vampir
auf ihr musste noch sehr jung sein, denn sein Körper war zu schwach, um die
tief in seinem Leib steckenden Messer einfach durch die Wundheilung
herauszudrücken, wie sie es schon bei älteren Vampiren gesehen hatte. Außerdem
fühlte sie bei ihm nicht die geringste Aura von Macht. Anders als bei dem
anderen. „Stan“ schien schon einige
Jahrzehnte auf seinem untoten Buckel zu haben.
„Nein,
ein erbärmlicher Mensch nicht“, flüsterte sie, „aber ein Wächter schon, du
Arsch! Hat dir deine Mami nicht gesagt, dass man eine Frau erst zum Essen
einlädt, bevor man sie flachlegt? Wenigstens meinen Namen solltest du doch
wissen, he?“
Der
Dicke lachte. Er war sich siegessicher, was ihn unvorsichtig werden ließ. „Ach
ja? Wie heißt du denn?“ Er hielt ihre beiden Handgelenke jetzt nur noch mit
einer Hand fest und zog das Messer unter seinem Herzen mit einem Ruck aus sich
heraus, was ihn stöhnen ließ. Eines musste Jessica diesem Parasiten lassen. Er
war verdammt gut darin, Schmerzen zu ertragen!
Sie
grinste ihn an. „Jessica Sommers.“ Sie hoffte, er würde das andere Messer nicht
auch herausziehen. Dann hätte sie verdammt schlechte Karten.
Sein
Lachen verstummte. Er hatte also schon von ihr gehört.
„Kannst
mich aber Herrin nennen, Parasit!“, spöttelte sie weiter.
„Fick
dich!“, brachte der Vampir wütend hervor und sein Kopf schnellte vor, da er
seine Zähne in ihre Kehle stoßen wollte, um das Spiel endlich zu beenden.
Darauf
hatte Jessica gewartet und gehofft. Sie nutzte seine eigene Schnelligkeit aus,
mit der er sich auf sie zubewegte und bäumte mit aller Kraft ihren Oberkörper
auf. Dadurch rutschte er um einiges weiter an ihr nach oben, verfehlte ihren
Hals und schlug mit dem Gesicht über ihren Kopf ungebremst auf den Bürgersteig
auf.
Anfänger!
Der
Griff des Messers, welches über seinem Schlüsselbein aus seinem Körper herausragte, war wie von
Jessica geplant jetzt neben ihrem Kopf. Mit voller Wucht schlug sie ihre Stirn
seitlich dagegen, so dass der Griff zur Seite gedrückt wurde und die Klinge
seinen Hals aufschlitzte. Seine Halsschlagader wurde dabei sauber durchtrennt
und ließ das Blut nur so aus ihm heraussprudeln. Der Blutverlust schwächte den
Vampir ausreichend, dass sich Jessica aus seinem Griff befreien konnte.
Angewidert spürte sie sein klebriges, kaltes Blut an ihrer Wange und in ihren
Haaren. Hm, sie sah bestimmt lecker aus. Erstaunlich, dass etwas, was sich so widerlich
anfühlte, trotzdem so gut riechen konnte, und das tat das Blut aller Vampire,
selbst für sie, obwohl sie die Parasiten so sehr verabscheute.
Die
Schmerzensschreie des Blutsaugers mischten sich mit dem Wimmern von
Muttersöhnchens Freundin. Jessica bemerkte verärgert, dass Muttersöhnchen mit
seiner Verlobten immer noch da war. Wie
bescheuert konnte man denn bitteschön sein und sich nicht schnellstmöglich
verpissen, wenn zwei Kerle zu beißen begannen und eine große Blondine wild um
sich schoss und mit Messern warf?
Jessica
rollte den dicken Vampir von sich herunter, setzte sich rittlings auf ihn und
umfasste ihr Kampfmesser mit beiden Händen. „Bye, bye, Oliver!“, nuschelte sie
und rammte ihm die breite Klinge ins Herz. Sofort lag der Vampir reglos unter
ihr und begann zu verwesen. Der war tot. Und scheiße, wie der jetzt stank. Der
anziehende Duft war sofort verflogen.
Im Tod stinken alle
gleich, selbst die Monster. Amen.
Aber
der Kleine, Stan, lebte noch, doch wo
verflucht war er? Als Jessica zu ihm blicken wollte, war er verschwunden.
Scheiße! Scheiße!
Scheiße!
Jessica
hörte wie Muttersöhnchens Freundin mit beeindruckender Lautstärke zu kreischen
begann und sah zu ihr. Nein, oh verdammt
nein! Muttersöhnchen lag mit aufgerissener Kehle am Boden. Seine Freundin
wurde von dem kleinen Blutsauger festgehalten. Er hatte seinen Unterarm um ihre
Kehle gelegt und drückte sie mit ihrem Rücken wie ein Schutzschild vor seine
Brust. Durch ihre schicken, hochhackigen Schühchen war sie genauso groß wie er.
Jessica
hob ihre SIG auf, zielte sicher auf die Stirn des Vampirs und starrte in seine
dunklen Augen, in denen nicht die geringste Spur von Menschlichkeit lag. Das
Leben der Frau bedeutete ihm nichts. Er würde nicht zögern, sie zu töten.
Das
Blut des erledigten Parasiten tropfte von Jessicas Kinn und ihr Oberschenkel
brannte und pochte von dem Vampirbiss. Es war ihr Glück, dass dieser Scheißkerl
keine Arterie getroffen hatte. Anders als die Verletzungen der Blutsauger,
heilten ihre Wunden nicht schneller als bei jedem anderen Menschen. Die Wunden
des kleinen Vampirs, der der jungen Frau jetzt mit der Spitze seiner Zunge
einmal über ihre tränennasse Wange leckte, waren dagegen bereits verheilt. Er
musste sehr starke mentale Fähigkeiten haben, dass er sich so schnell von den
vielen Kopfschüssen hatte regenerieren können. Wie ungewöhnlich, dass er
dennoch die Kontrolle über sich verloren hatte und ein Abtrünniger geworden
war.
Wieder
leckte der Vampir über die Wange der jungen Frau, die daraufhin noch
bitterlicher zu weinen begann. „Mhm … Ihre Haut schmeckt durch ihre Angst
einfach delikat. Wen soll ich nur zuerst küssen? Dich, Wächterin, oder die
kleine, freche Schlampe hier?“, grunzte er und lachte.
„Wenn
du ihr etwas tust, bringe ich dich verdammt langsam um. Lass sie los!“, zischte
Jessica.
„Ach
ja?“, fragte der Vampir. Er packte die dunklen Haare der kleinen Frau und zog
ihren Kopf nach hinten, um provokativ ihre Kehle zu entblößen. „Was kriege ich
dafür, wenn ich auf dieses Stück Fleisch verzichte?“
„Einen
schnellen Tod. Tut zwar auch weh, aber nur kurz.“
Ihre
Antwort brachte den Vampir erneut zum Lachen. Dann schaute er sie plötzlich
ernst an und sagte leise: „Wirf deine Waffen weg und ich lasse sie los. Ich
will nicht sie. Ich will dich, hübsche Wächterin.“
Jessica
runzelte ihre Stirn. Er verhandelte?
Sie hatte noch nie einen abtrünnigen Vampir getroffen, der in der Lage gewesen
war zu verhandeln. Und überhaupt. Jetzt wo sie Zeit hatte nachzudenken fiel ihr
auf, dass beide Blutsauger sich nicht sofort gierig auf ihre Opfer gestürzt
hatten, sondern konzentriert und taktisch gekämpft hatten. Scheiße!
Waren
das nicht die Blutsauger, die sie ausschalten sollte? Dieser hier zumindest
benahm sich wie ein Vampir, der sich ausgezeichnet beherrschen konnte.
„Wer
bist du?“, fragte sie daher verwirrt.
„Na,
Wächterin? Dämmert es langsam in deinem hübschen, blonden Köpfchen, dass du
einen Fehler gemacht hast? Einen folgenschweren Fehler?“, fragte der
Vampir und streichelte mit kreisenden Bewegungen seines Daumens das Kinn von
Muttersöhnchens Freundin.
„Scheiße!
Jessie! Nicht schießen, verdammt!“, rief ein glatzköpfiger Mann aus der Ferne,
der wie Jessica eine olivgrüne Hose und Jacke trug. Er kam die Straße herunter
gerannt und winkte ihr hektisch zu. Es trennten sie noch ungefähr fünfzig
Meter.
Jessica
zielte mit ihrer SIG weiterhin auf den Kopf des Vampirs, doch ihr Arm wurde
schwer. Lange würde sie ihn nicht mehr so ausgestreckt halten können.
Die
Gefahr war für die Frau jedoch weiterhin real. Egal was das für ein Blutsauger
war, er stand kurz davor ihr die Kehle aufzureißen. Dennoch zögerte Jessica zu
schießen.
„Lass
sie los, dann lasse ich dich gehen!“,
bot sie ihm an.
„Steck
deine Waffe ein, Wächterin! Sofort!“, befahl der Vampir und seine Stimme war
plötzlich herrisch.
„Jessie!“
Der Mann mit dem rasierten Schädel hatte sie erreicht und sein breiter
Brustkorb hob und senkte sich schnell. Er kam nur langsam wieder zu Atem.
„Jessie, das ist Jonathan. Von ihm haben wir den Auftrag erhalten, den
Blutgeier auszuschalten. Er ist keiner von ihnen“, erklärte Mike hastig.
Verdammt! Sie kannte diesen Namen.
Jonathan war einer der ranghöchsten Vampire New Yorks und ganz gewiss keiner
der jungen, die unkontrolliert durch die Straßen tigerten. Doch für die Frau
würde es keinen Unterschied machen, wer sie tötete.
„Er
hat die Menschen auf offener Straße angegriffen. So etwas machen nur
Blutgeier“, sagte Jessica wütend. Obwohl sie wusste, dass das Leben der Frau
nur noch dem Wohlwollen des Vampirs ausgeliefert war, da Jessica nicht eingreifen
durfte,
sagte sie stur: „Lass sie los oder ich knall dich ab!“
Jonathan
musterte sie und er wirkte nicht die Spur verängstigt, sondern amüsiert. „Blutgeier?“, fragte er. „Was ist denn
das?“
„So
nennen wir die abtrünnigen Vampire, die zeigen was sie sind. Was ihr alle in
Wirklichkeit seid. Monster!“, knurrte Jessica und ließ den Lauf der Waffe etwas
nach unten zeigen.
Der
kleine Vampir grinste und entblößte dabei seine weißen Zähne. Seine Eckzähne
waren nicht mehr verlängert und sein Gebiss sah daher nicht anders aus, als das
eines Menschen.
„Vam-
Vam- Vampire?“, winselte die Frau und erschlaffte benommen in seinen Armen.
„Ja,
Schätzchen.“ Jonathan küsste sie auf ihr Haar. „Ich bin ein Vampir.“ Bevor
Jessica reagieren konnte, hatte er der kleinen Frau das Genick gebrochen. Er
ließ ihren toten Körper lächelnd auf den Boden gleiten, legte seinen
Zeigefinger über seine Lippen und flüsterte: „Pst, ich glaube sie schläft!“
„Du
verfluchtes Arschloch“, brüllte Jessica und umklammerte fest den Griff ihrer
Pistole, den Lauf der Waffe auf sein Herz gerichtet.
Sie
war wütend, so wütend! Aber sie wusste, dass sie nicht schießen durfte. Der Rat
hatte vor acht Jahren, nach dem Krieg zwischen den Blutsaugern und der
Organisation, einen neuen Pakt mit den Vampiren geschlossen. Der beinhaltete
auch, dass Wächter nur die Blutgeier jagen und töten durften.
Verdammt. Jessica war das alles so leid
und spürte eine bleierne Müdigkeit. Sie war eine Wächterin. Dafür war sie
ausgebildet worden und für diesen Weg hatte sie sich entschieden. Doch in
Momenten wie diesen, fühlte sie sich leer und ausgebrannt. Sie schaute auf
Muttersöhnchen und die dunkle Blutlache, die sich um seinen leblosen Körper
gebildet hatte. Sein Arm war seitlich ausgestreckt, so dass der Anschein
erweckt wurde, er würde nach seiner toten Freundin greifen, selbst im Tode noch
versuchen, sie zu schützen.
Oh
Gott, war das wirklich alles, was Jessicas Leben
bestimmte? Kampf, Blut und Tod?
Jessica
schob die Gedanken von sich und verstaute sie zu den anderen vielen Dingen, an
die sie nicht denken wollte. Womit sie sich jetzt auseinandersetzen musste, war
ätzend genug. Sie hatte Scheiße gebaut und Jonathan genoss es.
Sie
hatte gegen den Pakt verstoßen. Der andere Parasit war auch kein Abtrünniger
gewesen, das war ihr nun klar. Nervös fummelte sie an dem silbernen
Kreuzanhänger, der an einer Kette um ihren Hals hing. Einen folgenschweren Fehler hatte Jonathan es
genannt, was sie getan hatte. Das konnte man wohl sagen. Jessica konnte nicht
einschätzen, was ihre Fehleinschätzung und die Tötung des Vampirs für
Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Jonathan
verbeugte sich mit einem süffisanten Grinsen. „Du wolltest doch, dass ich die
Frau loslasse. Das habe ich getan, also schau nicht so grimmig … Du bist eine
exzellente Kämpferin, Ms Jessica Sommers. Sind deine Talente im Bett ähnlich
vorzüglich?“
„Das
werden Sie wohl kaum jemals erfahren, Mr Jonathan“, sagte sie und wechselte in
eine höfliche Anrede. Was blieb ihr übrig? Ihr fiel auf, dass er sie mit ihrem
Namen angesprochen hatte. Als sie dem anderen Vampir verriet, wer sie war, war
Jonathan noch bewusstlos gewesen. „Woher wissen Sie, wer ich bin?“, fragte sie
daher verdutzt. Die Blutsauger würden kaum einen Steckbrief mit Foto von ihr
haben.
Name: Jessica
Sommers
Alter: 28
Größe: 1,78 Meter
Haarfarbe: blond
Beruf: Wächter
Hobbys: Popcorn
essen und Blutsauger abknallen
„Ich
war es, der deinen Vermittler anrief, Ms Sommers. Ich habe ausdrücklich darum
gebeten, dass du dich um das, äh, Blutgeier-Problem
in meinem Teil von New York kümmerst. Hat dir das Mr Mcbright nicht gesagt?“
„Offenbar
nicht“, antwortete sie und fragte sich, ob die Blutsauger des Öfteren einen
ganz bestimmten Wächter schicken ließen. Als würde man sich eine Pizza ordern.
Verdammt, sie könnte kotzen.
Preis pro Wächter:
99,99 $
Vielen Dank für ihre
Bestellung. Er wird innerhalb von fünfundvierzig Minuten geliefert. Schaffen
wir es nicht pünktlich, dürfen Sie den Wächter beißen und müssen nicht
bezahlen.
„Ich
hörte, du seist eine der besten Kriegerinnen der Organisation. Ich wollte dich
schon länger … kennenlernen.“ Das
letzte Wort betonte er zweideutig, was Jessica mit einem Stirnrunzeln
quittierte. „Beseitigt bitte den Müll für mich, Wächter.“ Der Vampir zeigte mit
einer abfällig wedelnden Geste auf die Leichen. „Ah, und den Vampir, den du
eigentlich jagen solltest, Ms Sommers, habe ich schon für dich geköpft. Ich
traf ihn zufällig und – nun ja. Ich entschied mich kurzerhand, ihn selbst zu
richten. Er liegt jetzt in der Wohnung, die ich euch nannte. Das, was von ihm
übrig ist. Entsorge bitte auch das,
Wächterin.“
„Sicher.“
Du kannst mich mal, Arschloch!
Jessica
bückte sich und hob ihre beiden Wurfmesser vom Boden auf. Sie wischte die
Klingen an ihrer Stoffhose ab und steckte die Waffen dann ein. Zuletzt auch
ihre SIG. Es wirkte lächerlich, wenn man auf jemanden zielte, der wusste, dass
man nicht abdrücken würde. Außerdem wurde ihr Arm immer schwerer und sie wollte
nicht, dass der Blutsauger sah, wie ihre Muskeln zu zittern begannen. Das
erste, was ein Wächter in der Ausbildung lernte, war, einem Vampir gegenüber niemals
eine Schwäche zu offenbaren.
Mit
einem ärgerlichen Zischen fuhr sie mit ihrer Hand über ihren Oberschenkel. Das
Grün der Stoffhose hatte sich durch ihr durchsickerndes Blut braun gefärbt.
Noch eine Bisswunde. Na toll! Als
hätte sie nicht bereits genug Narben.
Jonathan
schritt auf sie zu und mechanisch legte sie die Hand wieder auf ihre SIG. Sie
richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und biss ihre Kiefer fest aufeinander.
Das selbstsichere Auftreten des Vampirs verstärkte ihre Wut.
Der
Blutsauger war fast einen halben Kopf kleiner als sie, aber sie war mit ihren
fast eins achtzig nun mal eine große Frau und seine schmale Statur täuschte
nicht darüber hinweg, um wie viel stärker er war, als Jessica. Er sah zu ihr
auf und kurz befürchtete sie, dass er sie anfassen würde, doch er war klug
genug, es nicht zu tun. Bei Gott, dann hätte sie vermutlich doch noch
geschossen.
„Du
hättest mich beinahe getötet. Deine Kraft hat mich überrascht. Du bist noch
geschickter und stärker, als dein Ruf vermuten ließ. Jetzt weiß ich, wer du
bist, Wächterin. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich vorsichtiger
sein.“
Jessica
zuckte die Schultern und blickte feindselig auf ihn hinab. „Wenn ich Sie das
nächste Mal sehe, kümmere ich mich auf gleiche Weise um sie, wie um ihren
dicken Freund.“
Er
lachte, als wäre er wirklich erheitert, doch Jessica wusste, dass Vampire nicht
gut über sich selbst lachen konnten. „Ach ja? Du willst mich töten? Ich denke
nicht, dass du das tun darfst oder kannst.“
Natürlich
dürfte sie ihn nicht töten. Die Organisation verbot es und sie war eine Wächterin. Sie gehorchte den
Befehlen des Rates. Uneingeschränkt! Auch wenn das bedeutete, einen Vampir am
Leben zu lassen und dafür ein unschuldiges Leben zu opfern – oder zwei …
Jonathan
zückte eine Visitenkarte und reichte sie ihr. „Bitte. Besuche mich in meinem Haus. Ich verspreche dir, dich
nicht zu beißen. Ich wüsste andere Dinge, die ich lieber mit dir täte.“ Sein
Blick glitt über ihren Körper und ließ keinen Zweifel daran, was er von ihr
wollte.
Jessica
beugte sich zu ihm hinab, zerriss seine Karte, ohne darauf geblickt zu haben,
und flüsterte: „Eher schneide ich mir die Pulsadern auf, Baby. Ist eigentlich
alles an Ihnen so klein? Mhm, werde ich wohl nie erfahren.“ Die Papierschnipsel
ließ sie zu Boden rieseln und wie man eine Zigarette austreten würde, rieb sie
ihren Fuß darüber.
Die
Zurückweisung kränkte ihn nicht, er lachte nur erneut und schlenderte an ihr
vorbei, als hätte er nicht gerade kaltblütig zwei Menschen ermordet. „Wie
amüsant, Ms Sommers. Pulsader aufschneiden. Was für eine Verschwendung das
wäre.“ Im Gehen drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Dein Blut riecht ausgesprochen gut, Wächterin, und es schmeckt
delikat. Ich wette, du schmeckst überall äußerst erlesen. Ist es so? Ich denke,
ich werde es irgendwann erfahren.“ Dann huschte er blitzschnell davon.
„Oh,
Scheiße. Er hat dich gebissen? Du
bist verletzt? Verdammt. Dein Bein!“, brabbelte Mike mehr zu sich, als zu ihr,
und bückte sich, um ihren Oberschenkel zu untersuchen. „Lass mal sehen.“
„Ist
nicht schlimm“, murmelte Jessica und bemühte sich, Mikes Fürsorge zu entkommen.
Sie blickte traurig und zornig zu dem toten Muttersöhnchen und seiner Freundin.
Er würde kein Leben mehr retten und sich nicht mit seiner Tochter streiten
können. Mit niemandem mehr. Plötzlich fand sie die Zukunft, die sie für ihn
erdacht hatte, nicht mehr belustigend und bemitleidenswert. Sie kam ihr jetzt
so erstrebenswert vor, wie nichts anderes.
Jessica
zuckte vor Mike zurück, der erneut versuchte ihr Bein unter die Lupe zu nehmen.
Sie wich ihm unbewusst aus, da sie völlig in Gedanken an das eben Geschehene
versunken war. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen!
„Scheiße!
Dieser Blutsauger hat die ganze Zeit mit mir gespielt. Er hat gewusst, für wen
ich ihn halte und mir nicht gesagt, wer er ist! Er wollte mit mir kämpfen.
Er wollte mich kalt machen und es so aussehen lassen, als hätte ich ihn
entgegen des Abkommens einfach angegriffen. Das war alles von diesem Arschloch
geplant!“ Jessica ballte ihre Hände zu Fäusten und trat gegen die verweste
Leiche des dicken Vampirs. Sofort zuckte ein heißer Schmerz durch ihren
verletzten Oberschenkel. Dieser tote Blutsauger war erst vor ein paar Wochen
verwandelt worden. Das konnte sie an dem Zustand der Leiche erkennen.
Jessica
schilderte Mike knapp, was sich zugetragen hatte. Er hatte es mittlerweile
trotz ihrer Ausweichmanöver geschafft, ihr Bein festzuhalten und das Loch in
der Hose zu vergrößern, um die Fleischwunde zu inspizieren.
„Melde
der Zentrale, dass wir jemanden zum Aufräumen brauchen und dass man sich um die
Polizei kümmert, die hier gleich auftaucht. Ich musste schießen und die
Anwohner werden das gehört und die Cops gerufen haben. Ein Wunder, dass sie
noch nicht da sind“, sagte sie und schob ungeduldig Mikes Hände von ihrem Bein.
Es war ihr unangenehm, dass er die Bissspuren sah. Ärzte konnten so nervig
sein.
„Dieser
Einsatz war geplant, daher haben wir uns vorsorglich schon um die Polizei
gekümmert. Es wird keiner von denen
kommen, nur unsere Leute.“
„Oh
… Kontrollieren wir etwa schon die New Yorker Polizei?“
„Ja.“
„Oh
… Das ist – gut.“ Jessica blinzelte irritiert. Hätte man sie als erste
Wächterin von so etwas nicht unterrichten können? Wieso Mike mehr wusste als
sie, hinterfragte sie nicht. Sie war zu benommen und zu erschöpft, um sich auch
noch über so etwas den Kopf zu zerbrechen.
„Jessie,
komm schon. Ich kann dich in deine Wohnung bringen“, sagte er und wollte sie
stützen.
„Nein,
mir geht es gut“, entgegnete sie und stieß ihn grob von sich, wobei sie
unbeabsichtigt ins Wanken geriet. Ihr Bein tat verdammt weh!
„Sei
nicht so stur. So kannst du nicht Auto fahren.“
„Sag
mir nicht, was ich zu tun habe, Mike! Ich bin dein erster Wächter“, sagte sie
schroff.
Mike
kniff seine Augen zusammen und rieb sich den Nasenrücken. „Jessie! Ich bin dein
Freund und dein Arzt. In diesem Zustand solltest du wirklich nicht-“
„Mike!“,
unterbrach Jessica ihn und funkelte ihn zornig an. „Bleib hier und hilf dabei,
alle Spuren zu beseitigen. Ich fahre zurück zu Frank und – bah! Ich teile ihm mit,
dass ich versagt habe.“
„Wie
du willst … Jessie. Du hast nicht versagt“, sagte Mike sanft und streichelte
ihre blutverkrustete Wange.
Gott,
sie brauchte unbedingt eine Dusche und ungefähr siebzig Jahre Schlaf.
„Doch.
Ich hätte erkennen müssen, dass diese Parasiten keine Blutgeier sind. Ich hätte
anders vorgehen müssen. Vielleicht wären die beiden Menschen dann noch am Leben
… Ich habe einen von ihnen getötet, Mike.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Verdammt! Jonathan hat mich vorgeführt
wie einen Idioten. Wie alt ist der überhaupt? Seine Wunden heilen wahnsinnig
schnell.“
„Über
zweihundert Jahre“, sagte Mike leise. Er lebte seit zehn Jahren in New York und
kannte alle Vampire, die eine gewisse Machtposition erreicht hatten, meist mit
Namen und Alter. Er hatte ein beeindruckendes Gedächtnis.
„Zweihundert?
Scheiße.“ Sie hatte noch nie gegen einen so alten Vampir gekämpft. Jessica
humpelte den Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr Auto hatte sie einige Blocks
entfernt geparkt. Verdammt. Sie wusste,
sie tat Mike Unrecht und sollte nicht selbst zurückfahren, doch sie wollte
jetzt allein sein.
Diese
verfluchten Parasiten, diese Ausgeburten der Hölle! Wie sie sie hasste. Jessica
spielte mit dem silbernen Kreuzanhänger um ihren Hals und bat Gott um
Vergebung, dass sie das Pärchen nicht hatte retten können.
Irgendwann
würde die Organisation alle Vampire ausmerzen, damit das sinnlose Morden
endlich aufhörte.
Irgendwann
…
Mit
Gottes Hilfe!
Nicht
umsonst nannten sich die Wächter auch die Soldaten Gottes. Menschen waren die
Geschöpfe Gottes und Vampire waren die Kreaturen des Teufels.
Gott
unterstützte ihren Kampf gegen das Böse und am Ende sollte das Gute gewinnen.
Am
Ende gewann das Gute! Das war schon immer so.
Jessica
blinzelte ihre Tränen aus den Augen und öffnete den schwarzen Honda. Die Nacht
war vorbei. Erste Sonnenstrahlen berührten die Häuserdächer New Yorks. Die
Wolken verzogen sich und offenbarten langsam einen blauen Himmel. Es sollte ein
schöner Tag werden, in dessen vorangegangener Nacht jedoch das Gute verloren
hatte.
Kopieren und weiterverbreiten des Textes ist nicht gestattet! Danke für euer Verständnis.
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Geht spannend in die nächsten Kapitel. Freue mich schon darauf!
AntwortenLöschenlg.
Peter
Hallo Peter,
Löschenvielen Dank!
DG, Laya
So eine Freundin, wie Jessica muß man erst mal finden. Es läuft mir schon heiß , kalt den Rücken runter. Ich bin gespannt wie es weiter geht. Danke Laya für den Einblick.
AntwortenLöschenHallo!
LöschenJa, Jessica ist schon mutig und auf die kann man sich wirklich verlassen.
Übermorgen geht es auch schon weiter!
Dunkle Grüße
Laya